Theologinnen 23 - Konvent evangelischer Theologinnen
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ein, um Hassan von dem väterlichen Hof zu vertreiben. Er will seine eigene Feigheit<br />
vergessen, vergessen, dass er in seiner Bestimmung als Freund versagt hat.<br />
Mit dem Angesicht Hassans ist die Erinnerung an seine Schuld verbunden. Hassans<br />
Gesicht wird für Amir zum Spiegel seines Versagens, den er zerschlagen will. Seine<br />
wachsende Brutalität gegenüber dem Freund ist der hilflose Versuch, das eigene<br />
Schuldgefühl zum Schweigen zu bringen.<br />
Ähnliches passiert in der Beziehung zwischen Saul und David. Davids Musik führt<br />
Saul zurück zu sich selbst. Davids Erfolg erinnert ihn an seine Verantwortung, einen<br />
geeigneten Nachfolger zu suchen. Aber Saul will sich nicht rufen lassen. Er<br />
rast gegen Gottes Ruf. Er will sein Wissen um den richtigen Weg zerstören.<br />
Er will die peinigende Erinnerung, die ihm Schuldgefühle bereitet, mit Gewalt<br />
zum Schweigen bringen. Sein Mit-Wissen um Gott will Saul töten, den Spiegel, den<br />
Gott ihm vorhält, zerschlagen. Die biblischen Erzähler/innen sagen: Ihn treibt ein<br />
böser Geist von Gott. Aus dem Wissen um den Gott, aus seinem schlechten Gewissen<br />
erwächst die Raserei, mit der er dieses Gewissen zum Schweigen bringen<br />
will.<br />
Der Ruf zum Leben<br />
Dieser rasende, um sich schlagende Saul, der sich immer tiefer in seinen Untergang<br />
hineinbohrt, ist keine tragische Figur, eine traurige Figur, aber nicht ausweglos<br />
auf dem Weg zum Untergang.<br />
Bewusst stellen die biblischen Autor/innen die beiden verschiedenen Reaktionen<br />
Sauls auf David als zwei Wege nebeneinander. Zwischen beiden Erzählungen<br />
(16,14-<strong>23</strong>; 18,6-16) steht in der Mitte (17,1-18,5) die Geschichte von Davids<br />
Kampf gegen Goliath, in der David als Israels Zukunftschance aufscheint. Ein großes<br />
dreiteiliges Gemälde, ein Triptychon wurde gestaltet: Der Kampf gegen Goliath<br />
in der Mitte, gerahmt von den beiden Wegen Sauls. Auf dem rechten Rahmenflügel<br />
der Weg, auf dem Saul sich vom Leben und von Israels Zukunft abschneidet.<br />
Noch während der Sieg über die Philister gefeiert wird, wird Sauls Neid zur Besessenheit.<br />
Doch dem allen wird im linken Seitenflügel ein Ausweg vorangestellt. Am<br />
Anfang wird von Sauls Liebe zu David erzählt, die ihn aus seiner Selbstbesessenheit<br />
befreit. Dieser Anfang widerspricht jedem Versuch, Zwangsläufigkeit in Sauls<br />
Untergang hineinzulesen. Saul ist nicht ausweglos dem Unglück ausgeliefert. Der<br />
tragische Held, der ohne die Möglichkeit der Umkehr, an sich selbst und dem Leben<br />
zugrunde gehen muss, ist keine Figur der biblischen Bundesgeschichte. Der<br />
Bibel geht es gerade darum, dass wir dieses tragische Lebensgefühl aufgeben, –<br />
das sagt: ich kann nicht anders, auch wenn ich daran zugrunde gehe.<br />
Denn der Ruf, das Leben zu wählen, gilt auch dann, wenn Menschen wie Saul mit<br />
den Schattenseiten des Lebens in Berührung kommen. Der Verlust einer gesellschaftlichen<br />
Position, die von ihm erwartete Bejahung seiner Zurücksetzung – sol-<br />
<strong>Theologinnen</strong> <strong>23</strong> / September 2010 21