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Theologinnen 23 - Konvent evangelischer Theologinnen

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die 70, um die 80 und um die 90. Im hohen Alter schrieb sie etwas sehr Bemerkenswertes<br />

in ihrem fast jährlichen Rundbrief: Dass nämlich die Pfarrer in ihren<br />

Gemeindegottesdiensten eine Neigung haben, Kirchenlieder singen zu lassen unter<br />

Auslassung der letzten Strophen. Mit Recht, wie ich finde, sagte sie, dass doch für<br />

sie, die sehr Alten, die an der Todesgrenze stehen, diese Strophen das Allerwichtigste<br />

sind, mit ihrem Ausblick auf das Ende und in eine zukünftige Welt, das erhoffte<br />

Reich Gottes. Und so meine ich, dass man sehr wohl sagen kann: Ihr viertes<br />

Leben ist das Alter, in seiner Steigerung hin zu dem Menschen, der seinen Blick<br />

richten muss auf die ihm bevorstehende Grenze, und richten möchte womöglich<br />

auf das andere, neue Land dahinter.<br />

Unter dem Eindruck des Trauergottesdienstes für sie, den sie selbst in allen Einzelheiten,<br />

bis vor allem in die Liedwahl, selbst bestimmt hat, komme ich nun zu<br />

dem Gedanken, auch noch von einem fünften Leben zu reden.<br />

Und das soll hier kurz angedeutet werden:<br />

Die Lieder dieses Gottesdienstes handeln von der „Einfahrt“ in den Himmel (EG<br />

516), dem Aufbruch der „Stadt Jerusalem“ zur – himmlischen – Hochzeit (EG 147)<br />

und, mit langen fünf Strophen, von der Ankunft in der „hochgebauten Stadt“,<br />

Jerusalem (EG 150).<br />

Gerade in dem letztgenannten Lied nun wird, wie in einer großen Schau, aufgezählt,<br />

wer zu sehen ist und entgegenkommt von dort, aus der „hochgebauten<br />

Stadt“: Es sind „Propheten groß und Patriarchen hoch, auch Christen insgemein,<br />

alle, die einst des Kreuzes Joch und der Tyrannen Pein“ und sie sind zu sehen nun<br />

„mit Klarheit hell umgeben, mit sonnenlichtem Strahl“.<br />

Solche Bilder und Visionen samt den dazugehörigen Worten scheinen uns heutigen<br />

Menschen unbrauchbar.<br />

Aber was für eine gewaltige Vision, angesichts dessen, wessen Fairy von Lilienfeld<br />

selber immer wieder Zeugin wurde in ihren Kontakten mit Christen und ihren<br />

Schicksalen in der sowjetischen Welt; und nicht nur da! Und brauchbar werden<br />

diese Worte und Bilder angesichts dessen auch, was zwei bei ihr wachende Zeuginnen<br />

ihrer letzten Stunden und Tage berichteten: Fairy von Lilienfeld habe immer<br />

wieder keine Wahrnehmung gehabt von der sie umgebenden Realität, aber<br />

eine große, in einem Wasserfall von Erzählen stattfindende Wahrnehmung einer<br />

Schau und gleichzeitig einer Art Lebens-Rückwärtsganges; und darin seien ihr offenbar<br />

Gestalten entgegengekommen, die sie überrascht quasi begrüßt habe, und<br />

voller Staunen habe sie immer wieder neue, auf sie Zukommende wahrgenommen.<br />

Ich wage es, diese Schau an das soeben zitierte Lied anzuknüpfen und sie als Teil<br />

eines „fünften Lebens im anderen, neuen Land“ zu bedenken.<br />

Olga von Lilienfeld-Toal<br />

90 <strong>Theologinnen</strong> <strong>23</strong> / September 2010

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