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Abgeordnetenhaus. Sie sagt, sie versuche herauszufinden, ob das Gerücht wahr oder Lüge<br />
sei. Doch egal, wie es ausgehe, ganz sicher sei, dass die katastrophale humanitäre Situation<br />
am Lageso überaus real sei.<br />
Damit steht sie nicht allein. Immer wieder haben Ehrenamtliche, Vertreter der Caritas und<br />
unabhängige Mediziner die Missstände angeprangert. Zuletzt hieß es, etlichen Flüchtlingen<br />
seit Wochen kein Geld mehr ausgezahlt worden, sodass diese hungerten. Vor allem aber gilt<br />
die medizinische Lage als desolat. So seien bereits mehrere Flüchtlinge in den<br />
Warteschlangen zusammengebrochen, mindestens drei Frauen hätten Fehlgeburten erlitten.<br />
Unter den Wartenden befänden sich zahlreiche, die an Lungenentzündung, Hepatitis, Krätze,<br />
<strong>of</strong>fenen Ekzemen oder an einem Bandscheibenvorfall litten.<br />
Dazu kam die Kälte. Man höre Kinder aus drei Metern Entfernung mit den Zähnen klappern<br />
und müsse Mütter überreden, mit ihren Babys nicht in der Kälte zu übernachten, berichteten<br />
Helfer schon im Herbst. Seit November sind Angestellte der Charité am Lageso, jeden Tag<br />
zwei Ärzte und zwei Pfleger, dazu ein Arzt der Bundeswehr. Sie behandeln Hautinfektionen,<br />
Zahnschmerzen, Wunden, immer wieder grippale Infekte.<br />
Noch so ein Konjunktiv: Sollte sich die Geschichte nicht doch noch als wahr herausstellen,<br />
wird der Vorfall dem Ruf der Ehrenamtlichen extrem schaden. Nicht nur denen, die sich am<br />
Lageso engagieren, sondern auch allen, die in den Flüchtlingsunterkünften aushelfen, die<br />
beraten, Kleidung verteilen, die am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Spandau<br />
jeden Tag Essen ausgeben.<br />
Es geht um tausende Berliner, die in den vergangenen Monaten viel Freizeit opferten,<br />
manche haben ihre Berufe aufgegeben oder sich zeitweilig beurlauben lassen, um sich ganz<br />
ihrer Aufgabe zu widmen. „Ohne die Arbeit der Ehrenamtlichen wäre die Versorgung der<br />
Neuankömmlinge längst zusammengebrochen“, sagt eine, die 2013 bereits am Oranienplatz<br />
mitgeholfen hat. „Das wissen die Behörden und auch die Heimbetreiber.“ Aber es sei so wie<br />
überall auf der Welt, sagt die 30-Jährige: „Selbst wenn die allergrößte Mehrheit einer Gruppe<br />
redlich und sauber ist, aus besten Motiven heraus handelt – ein Einzelner kann ein extremes<br />
Schlaglicht auf das Ganze werfen.“ Sie kennt Dirk V. über Facebook und sagt, dessen<br />
Verdienste seien unbestreitbar. Der Mann sei „die Hilfsbereitschaft in Person“ und einer, der<br />
sogar spätnachts noch Flüchtlinge aufnahm, wenn diese sonst auf einer Parkbank hätten<br />
übernachten müssen. Vor allem habe er viele andere zum Helfen motiviert. Etwa dadurch,<br />
dass er seine positiven Erfahrungen mit den Flüchtlingen im Internet teilte. „Niemand weit<br />
und breit, der die Scharia dem deutschen Grundgesetz vorziehen würde“, schrieb er einmal.<br />
„Keiner da gewesen bislang, der nicht bereut, seine Heimat verlassen zu haben.“<br />
An diesem Mittwoch machen sich auf Facebook viele Helfer Sorgen um den<br />
Untergetauchten. Und sie sprechen sich gegenseitig Mut zu: Egal wie groß der<br />
Imageschaden und das Misstrauen würden, nun müsse man erst recht weitermachen und<br />
dabeibleiben, nicht vor schiefen Blicken zurückschrecken.<br />
Nachmittags meldet sich der Pressesprecher der Grünen beim Tagesspiegel. Er bittet, nicht<br />
mehr zu berichten, Ramona Pop habe sich mit den Worten „Wir haben es kommen sehen“<br />
geäußert. Das sei nicht so gewesen. Auch andere, die seit Tagen Czajas Rücktritt fordern,<br />
verstummen nun. Die Kritik am Senator ist eigentlich riesig: Mag sein, dass das Lageso vom<br />
Vorgängersenat plattgespart wurde, hieß es. Mag sein, dass Czaja nur einer unter vielen<br />
Versagern sei. Dennoch müsse er weg. Immer wieder führte die Opposition dabei an, was<br />
auch in Sozialverbänden, Kirchen und Ämtern viele wissen: Der große Wurf, um die Lage zu<br />
verbessern, kam vom Senat bis heute nicht.