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pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg

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▌ Gedenktage<br />

Die politische Selbstbeschreibung einer Gesellschaft kann insbesondere an ihren<br />

Traditionsbezügen abgelesen werden. In diesem Sinn ist Politik eingebettet in eine »Er-<br />

innerungskultur« als einem Teilbereich der Politischen Kultur. Die gezielt diese Selbstbe-<br />

schreibung beeinflussende Form der Politik ist die »Geschichtspolitik.« Steinbach schlägt<br />

die definitorische Brücke zum Bereich politischen Handelns: »Deutungen der Vergangen-<br />

heit sind nicht selten das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen, der 'Geschichtspoli-<br />

tik'. Geschichte ist somit nicht mehr allein das Ergebnis vergangener Politik, sondern eine<br />

bestimmte Deutung der Vergangenheit wird vielfach zur wichtigen Voraussetzung neuer<br />

politischer Auseinandersetzungen und damit zu einem wichtigen Element politischer<br />

Gestaltung. » 291 Die Entscheidung für Gedenktage und die Nutzung von Gedenkanlässen<br />

fällt demnach direkt in diesen Bereich der Zeichenpolitik. In der Nation bekommt ein na-<br />

tionaler Gedenktag eine integrale Funktion, da das ihm zugrunde liegende Deutungsmus-<br />

ter in die gesellschaftliche Praxis inkorporiert wird. Demzufolge ist es konsequent, wenn<br />

<strong>Heuss</strong> frühzeitig darüber nachdenkt, eine angemessene »Form« des Gedenkens zu finden.<br />

»Will man den Staat ins Bewusstsein der Jugend als Integrationskraft geben, so muss<br />

man einen Werktag nehmen und entweder ganz oder halb schulfrei machen.« 292 Er dachte<br />

über verschiedene Gedenkanlässe nach – den 7.September als dem Datum, an dem der<br />

Bundestag das erste Mal zusammentrat oder das ambivalente aber dafür symbolisch be-<br />

deutungsvollere Datum des 8.Mai (Beschluss des Grundgesetzes, Kriegsende). 293 Aus dem<br />

Bundeskabinett kam der Vorschlag, am 3. September die Erinnerung an die Toten mit<br />

dem »Wiederentstehen des politischen Lebens« zu verbinden und am 3.September zu be-<br />

gehen. 294 Letztlich entschied man sich dafür, am 9.September 1950 eine feierliche Veran-<br />

staltung durchzuführen, auf der Bundeskanzler und Bundespräsident sprachen. Auch in<br />

den folgenden Jahren wurde das Datum des Bundestags-Zusammentritts zum Anlass für<br />

eine solche Veranstaltung genommen, wenn auch jedes Jahr die Diskussion über Termin<br />

und Zweck neu geführt wurde und das Datum nicht popularisiert wurde. Nachdem es am<br />

17. Juni 1953 in der DDR zu Unruhen kam, beschloss der Bundestag Anfang Juli 1953 auf<br />

Antrag der SPD-Fraktion und mit Unterstützung aller Parteien außer der KPD, den 17..Juni<br />

als »Tag der Einheit« zu begehen. Wenn dies auch so aussieht, als ob hier der Konsens<br />

mobilisiert wurde, der für die Durchsetzung einer breit verwurzelten gemeinsamen Ge-<br />

denkpraxis notwendig ist, so weist Wolfrum gerade das Gegenteil nach: Zwar war man<br />

sich über das Datum einig, hatte aber ziemlich gegensätzliche Vorstellungen davon,<br />

291 Steinbach (2001)<br />

292 Baumgärtner (2001); S. 174<br />

293 Morsey/Schwarz/Mensing (1997); Gespräch am 18.03.1955; S. 159<br />

294In die Entscheidungsfindung für ein Datum spielte auch hinein, dass die DDR am 12. September den<br />

Tag der Opfer des Faschismus beging (später am 10. September)<br />

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