pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg
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sönlicher, beruflicher und politischer Bindung zu Naumann. 86 Naumann war weniger<br />
Parteiorganisator als charismatischer Kopf und Reformer innerhalb eines bürgerlich-pro-<br />
testantischen aufgeklärten Milieus, bis 1896 zunächst mit einer eher christlich-sozialen<br />
Grundtendenz. Im Folgenden trennt er insbesondere dank des Einflusses Max Webers Re-<br />
ligiosität und Politik und nun übernimmt die »Nation« die Aufgabe der Integration der<br />
Klassen. <strong>Heuss</strong> sieht darin 1919 eine »Befreiung von Marx«: »Ihm [Naumann] war deut-<br />
lich: dass der Sozialismus, sol er eine höhere Form der wirtschaftlichen Arbeit und der so-<br />
zialen Gemeinschaft sein, der nationalen Begrenzung und der ethischen Führung und<br />
Zielsetzung bedürftig ist.« 87<br />
Naumann gründet den Nationalsozialen Verein, der später mit der Freisinnigen Vereini-<br />
gung fusionierte. 1907 gelang ihm vermittelt über den jungen <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong> der Gewinn<br />
eines Direktmandats in Heilbronn und der Einzug in den Reichstag. Ab 1910 arbeitet er in<br />
der neu als liberale Sammlungspartei gegründeten »Fortschrittliche Volkspartei« mit und<br />
sitzt für diese Partei bis 1918 im Reichstag. Der Einfluss Naumanns und seiner Anhänger<br />
war parteipolitisch weniger bedeutend. Intellektuell hingegen lieferte das Netzwerk<br />
wichtige Impulse und war in der Lage Einfluss zu nehmen. Eine zentrale Rolle übernimmt<br />
hierbei nicht die Parteiorganisation sondern andere Arten der Bindung.<br />
Dazu gehört ein Netz karitativer Aktivitäten, etwa im Bereich der Volksbildung, in dem<br />
sich beispielsweise Elly <strong>Heuss</strong>-Knapp in besonderer Weise engagiert. Diese Organisationen<br />
und Zusammenschlüsse waren freilich keine politischen Vorfeldorganisationen mit Massen-<br />
wirkung, sondern entsprangen eher dem Engagement kleiner aber in ihrem Einfluss nicht<br />
unbedeutender Gruppen.<br />
Ein weiteres Beispiel für von Naumann inspirierte Institutionen ist der Deutsche Werk-<br />
bund, eine Institution, die sich die Propagierung eines modernen Kulturbegriffs zur Aufga-<br />
be gemacht hat und der sich <strong>Heuss</strong> seit der Gründung 1907 verbunden fühlt - bald als<br />
Mitglied, 1918 bis 1921 in dessen Geschäftsführung und bis 1933 im Vorstand. Die Ver-<br />
bindung von Sozialem, Kultur und Politik im Sinne eines umfangreichen gesellschaftlichen<br />
Reformprogramms ist charakteristisch für den Kreis um Naumann. <strong>Heuss</strong> formuliert dies<br />
1955 mit Blick auf seine eigene Biografie: »Gegenüber der Verstädterung der Massen, der<br />
Typisierung des bürgerlichen Lebens, den erstarrten oder verstaubten Konventionen der<br />
gesellschaftlichen Formenwelt, in all diesen verschiedenen Stufen meldete sich bei uns<br />
eine unmittelbare Gegenhaltung, als vor 50 Jahren eine neue Jugendbewegung aufbrach,<br />
85 vgl Krey (2000); S. 78ff. Sie geht von insgesamt 170 Personen im Zentrum des Kreises aus, ca 750<br />
Multiplikatoren und 1772 Rezipienten.<br />
86 z.B. Pikart (1970); Brief an Toni Stolper vom 6.3.56: S. 154<br />
87 Dahrendorf/Vogt (1984); Friedrich Naumann zum Gedächtnis; S. 112<br />
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