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pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg

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Besuchs in Israel fasste <strong>Heuss</strong> dies konkreter: »Jeder von uns Deutschen hat sich für sei-<br />

ne Person, und unser ganzes Volk als Kollektiv vor den Juden in ihrer Gesamtheit und vor<br />

jedem Individuum dessen zu schämen, was Menschen meiner Nation verbrochen<br />

haben.« 304 »Kollektivscham« ist insofern kompatibel mit einem Prozess der Besinnung auf<br />

Menschlichkeit und einem positiven Bezug auf die eigenen zivilisatorischen Werte.<br />

In kritischer Bestandsaufnahme fällt auf, dass das Schamgefühl nur unvollkommen als<br />

Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dienen kann.<br />

Abgesehen davon, dass dies für die Opfer und ihr Gerechtigkeitsempfinden nur wenig Re-<br />

levanz haben kann, kommt man um eine klarere und möglicherweise auch schmerzhaftere<br />

Konsequenzen einfordernde Schulddefinition nicht herum. Baumgärtner zieht eine kri-<br />

tische Bilanz: »Aufgrund der Unbestimmtheit seiner Äußerungen fand in seinen Reden<br />

keine Erörterung des Ausmaßes und der Intensität dieser Schuldverstrickung statt,<br />

weshalb die Klärung der Schuldfrage bei <strong>Heuss</strong> offen blieb. Die Aporie, grundsätzlich<br />

Schuld zu bekennen, ohne sie individuell zuzurechnen, war ein Signum seiner 'Reden nach<br />

Hitler'.« 305 Wenn von <strong>Heuss</strong> eine besondere Ausstrahlung auf die öffentliche Ausein-<br />

andersetzung mit dem Nationalsozialismus ausging, dann gerade deshalb, weil er<br />

»Menschlichkeit« einfordert. Empathie für die Opfer zu empfinden, sie als Gleiche, als In-<br />

dividuen und als Verlust wahrzunehmen. »Der Mensch, die Menschheit ist eine abstrakte<br />

Annahme, eine statistische Feststellung, oft nur eine unverbindliche Phrase; aber die<br />

Menschlichkeit ist ein individuelles Sich-Verhalten, ein ganz einfaches Sich-Bewähren<br />

gegenüber anderen, welcher Religion, welcher Rasse, welchen Standes, welchen Berufes<br />

er auch sei.« 306<br />

Wenn sich das oben beschriebene auf den Umgang mit Schuld und Opfern bezieht, so<br />

ist <strong>Heuss</strong> daran gelegen, den Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu rehabilitieren<br />

und ein »Recht zum Widerstand« abzuleiten. In der gleichnamigen Rede von 1955 be-<br />

handelt <strong>Heuss</strong> den militärischen Widerstand des 20.Juli. Ein zentrales mit dieser Rede ver-<br />

bundenes Ziel von <strong>Heuss</strong> und Adenauer war offensichtlich, hier einen geschichtspolitischen<br />

Akzent zu setzen: »Im Hinblick auf den 10.Jahrestag des Kriegsendes im Mai 1955 ver-<br />

ständigten sich <strong>Heuss</strong> und Adenauer darauf, 'dass dieser Tag möglichst geräuschlos vor-<br />

übergehe'. Wenn lediglich das Attentat auf Hitler als 'positives' Datum gemäß des Impera-<br />

tivs der runden Zahl als gedenkwürdig erachtet wurde, deutet dies auf das Anliegen hin,<br />

die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mit der Würdigung des Widerstands<br />

zu verbinden.« 307 Die Wahl des Orts - Berlin – für diese Rede war demnach auch kein Zu-<br />

fall, konzentrierte sich doch in dieser Stadt, am Ort der Hinrichtung der führenden Vertre-<br />

304Lamm (1964); S. 206<br />

305 Baumgärtner (2001); S. 342D<br />

306 Dahrendorf/Vogt (1984); Das Mahnmal; S. 411<br />

307 Baumgärtner (2001); S. 300<br />

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