pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg
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wessen man gedachte. Volkserhebung? Arbeiteraufstand? Aufrechterhaltung des gesamt-<br />
deutschen Anspruchs? Wiedergeburt Deutschlands? »Auffälligerweise war die Schaffung<br />
eines Gedächtnisortes 'Tag der deutschen Einheit' geknüpft an je unterschiedliche, sozial<br />
rückgebundene, historisch überkommene und politisch aktivierte Wahrnehmungen gesell-<br />
schaftlicher Teilgruppen in der frühen Bundesrepublik.« 295<br />
Deutlich wird, dass die Durchsetzung eines zentralen staatlichen Gedenkanlasses unter<br />
den politischen Bedingungen der 50er Jahre nicht möglich war. Gerade <strong>Heuss</strong> dürfte dies<br />
schon aus der Erfahrung der Weimarer Republik bewusst gewesen sein. Im Gegensatz zu<br />
den Möglichkeiten der DDR, die unter völlig anderen politischen Bedingungen eine homo-<br />
gene Geschichtserzählung durchsetzte, waren die politischen Vorstellungen von der<br />
eigenen Identität zu plural: »In der bundesdeutschen Demokratie rangen (und ringen)<br />
verschiedene Gruppen um die Deutungskompetenz – Differenzierung, Öffentlichkeit und<br />
Konkurrenz waren (und sind) konstitutiv.« 296 Stattdessen entstand ein »Gedenktags-<br />
gefüge.« Baumgärtner bezeichnet es mit Blick auf die Aufarbeitung des Nationalsozialis-<br />
mus als eine Trias bestehend aus der »Woche der Brüderlichkeit«, die im Zeichen des<br />
christlich-jüdischen Dialogs stand, aus dem »Volkstrauertag« und aus dem Gedenken an<br />
den Widerstand gegen den Nationalsozialismus am 20. Juli. »Die Trias 'Juden als Opfer –<br />
Deutsche als Opfer – gute Deutsche' bildete so das Koordinatensystem der öffentlichen<br />
Erinnerung an den Nationalsozialismus.« 297 <strong>Heuss</strong> gelang es, innerhalb dieses Gefüges<br />
eigene Deutungen in die sich entwickelnde Gedenktradition zu implementieren. »<strong>Theodor</strong><br />
<strong>Heuss</strong> gestaltete dies ganz wesentlich mit, indem er darauf Einfluss nahm, bestimmte Ge-<br />
denkanlässe wie den 20. Juli zu etablieren, indem er andere Anlässe mit einer bundesprä-<br />
sidialen Rede bewusst aufwertete wie die Woche der Brüderlichkeit oder den Volkstrauer-<br />
tag und indem er ihnen eine dezidierte Bedeutung verlieh wie bei den Einweihungen der<br />
Soldatenfriedhöfe.« 298<br />
▌ Nationalsozialismus, Schuld und Widerstand<br />
Einen wichtigen Impuls gab <strong>Heuss</strong> beispielsweise der Debatte um die Schuld der Deut-<br />
schen an den nationalsozialistischen Verbrechen. Die Tatsache, dass man sich mit seiner<br />
eigenen Verstrickung in den Nationalsozialismus auseinander setzen muss, steht für <strong>Heuss</strong><br />
außer Frage. »Das deutsche Volk hat es sich leicht gemacht, zu leicht gemacht in seiner<br />
Masse, sich in die Fesseln des Nationalsozialismus zu geben. Es darf es sich nicht leicht<br />
machen, diese Fesseln, an denen es schlimm trug, von denen es sich selber nicht hätte lö-<br />
sen können, es darf es sich nicht leicht machen, die bösen Dinge wie in einem wüsten<br />
295 Wolfrum (1998); S. 395<br />
296 Wolfrum (2002); S. 71<br />
297 Baumgärtner (2001); S. 183<br />
298 Baumgärtner (2001); S. 340<br />
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