pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg
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2.1 Von 1945 zum Verfassungspatriotismus?<br />
Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist der 08. Mai 1945. Wenn auch klar ist, dass<br />
die Westdeutschen sich nicht gerade die Interpretation des Datums als »Tag des Sieges«<br />
zu Eigen gemacht haben dürften, so war die Deutung dieses Datums umstritten. Deshalb<br />
ist häufig von der »Stunde Null« die Rede, die das vorher Gewesene sauber mathematisch<br />
in den negativen Bereich verdrängt. Für die damalige Zeit ungewöhnlich ist sicherlich die<br />
fünf Jahre später geäußerte Feststellung von <strong>Theodor</strong> <strong>Heuss</strong>: »Im Grund bleibt dieser 8.<br />
Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns.<br />
Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.« 38 Wirkt die dem in-<br />
newohnende Symbolik aus heutiger Perspektive ein bisschen zu pathetisch, so zeigt sich<br />
doch die Differenziertheit im Kontrast zu konkurrierenden Deutungen: An anderer Stelle<br />
redet man von der »Niederlage« und meint damit die militärische und weniger die mo-<br />
ralische Kapitulation. Interessant ist zweifellos, wie grundsätzlich der 08. Mai eine Umdeu-<br />
tung erfahren hat. Die Rede von Richard v. Weizsäcker vierzig Jahre später führt dies ein-<br />
drucksvoll vor Augen. Der Bundespräsident stellte mit der Autorität seines Amtes klar,<br />
dass dies »ein Tag der Befreiung« für die Deutschen gewesen sei. Damit setzte er den<br />
Schlusspunkt unter eine Diskussion, die selbst in den achtziger Jahren noch einmal an Dy-<br />
namik gewann.<br />
▌ Nationalsozialimus<br />
Wie kaum anders zu erwarten, kommt es nicht zu einem totalen Bruch mit dessen<br />
Prinzipien und Ideologie. Man ist zwar damit beschäftigt, Parteiabzeichen und Ariernach-<br />
weise schnellstmöglich zu entsorgen, zu einer tiefgreifenden intellektuellen Ausein-<br />
andersetzung mit dessen Ideologie geschweige denn mit eigener »Schuld« hat dies nicht<br />
geführt. Wenn <strong>Heuss</strong> sieben Jahre später von einer »Kollektivscham« statt einer »Kollek-<br />
tivschuld« redet, ist dies möglicherweise eine fast provozierende Sichtweise – wenn man<br />
auch heute andere Standards bei der Beantwortung der Schuldfrage anlegen würde. Nach<br />
den OMGUS-Daten stößt die Idee des Nationalsozialimus auf relativ große Akzeptanz in<br />
der Bevölkerung. Ungefähr die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass der Nationalso-<br />
zialismus eine gute Sache ist, die schlecht ausgeführt wurde: 1945 sind es 53%, 1947<br />
55% und 1948 konstant 55,5%. 39<br />
38 Feldkamp (1998); S.176<br />
39 Merrit/Merrit (1970); S. 33<br />
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