pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg
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zessen, können keine Aussagen darüber getroffen werden, wie stark sein Einfluss exakt<br />
auf diese oder jene Formulierung gewesen ist.<br />
Anders gestaltet sich dies bei der Untersuchung seines Einflusses auf die Deutschland-<br />
politik. Insbesondere in der Diskussion über die Frankfurter Dokumente beteiligte er sich<br />
nicht. Seine Haltung ist mit abwartend beschreibbar, de facto hat er keinen Einfluss ge-<br />
nommen, wenn er auch von Beginn an alle mit der Gründung des Weststaats und seiner<br />
internationalen Einbindung verbundenen Entscheidungen unterstützte.<br />
Im Gegensatz dazu hat er das Amt des Bundespräsidenten maßgeblich geformt. Auch<br />
hier sucht er wie im Parlamentarischen Rat nach den angemessenen Formen der Staatsre-<br />
präsentation, zum Beispiel in der Hymnenfrage, bei der Stiftung von Auszeichnungen oder<br />
bei der Suche nach einem angemessenen präsidialen Auftreten. Hieraus leitet sich auf der<br />
einen Seite die Aufgabe des Präsidenten ab, sich zu grundsätzlichen Fragen der Demokra-<br />
tie oder des Gedenkens zu äußern. Gleichzeitig hat der Präsident seit <strong>Heuss</strong> auch die un-<br />
beschriebene Aufgabe, integrativer in die Gesellschaft zu wirken als dies anderen Trägern<br />
politischer Rollen möglich ist: Zum Rollenprofil des Präsidenten gehört neben einer ge-<br />
wissen präsidialen Distinguiertheit auch eine Bereitschaft zur »Volksnähe« (wenn <strong>Heuss</strong><br />
die daraus resultierende Wirkung »Verkitschung« nennt, so überdeckt das Etikett diese<br />
dem Amt innewohnende Funktion).<br />
5.2 Die politischen Einstellungen der<br />
westdeutschen nach 1945<br />
Wenn man die in Kapitel 2 zusammengefassten Aspekte der Politische-Kultur-Forschung in<br />
Beziehung setzt zu <strong>Heuss</strong>' Ansichten über den Grad demokratischer Reife, den die Deut-<br />
schen nach 1945 besitzen, so lässt sich dieses Verhältnis als gegenseitiges Misstrauen<br />
beschreiben.<br />
Wie Offe beschrieben hat, ist allen modernen Demokratien eigen, dass sie zu einem<br />
großen Teil auf misstrauensbasierter vertikaler Kommunikation beruhen, weil eine eher<br />
geringe Möglichkeit der Einflussnahme auf den politischen Prozess einer maximalen Be-<br />
troffenheit von Entscheidungen gegenübersteht. Wenn dies ein normaler Grundzug einer<br />
Demokratie zu sein scheint, so ist das »unnormale« an der frühen westdeutschen poli-<br />
tischen Kultur, dass die ergänzenden Vertrauensbeziehungen unvollkommen ausgeprägt<br />
sind. Insofern besteht in der Bevölkerung zunächst wneig Interesse an politischen Fragen,<br />
geschweige denn daran, sich politisch zu engagieren. Auf der anderen Seite meint die<br />
Äußerung von <strong>Heuss</strong>, dass die neuen politischen Eliten durch die Schule der Skepsis ge-<br />
gangen sind, gerade die eigene Skepsis gegenüber der politischen Zurechnungsfähigkeit<br />
des Volkes.<br />
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