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pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg

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enachteiligt, »die in der örtlichen Sphäre aufstehen und sich bewähren, sich nicht mehr<br />

organisch den gemäßen Wirkungsraum schaffen können, der sie dann aus dem Heimat-<br />

boden zu größeren Aufgaben wachsen lässt.« 132 Produkt dieser Staatsmaschine ist ein<br />

neuer Politikertypus, der sich nicht über die Gemeinwohlfunktion des Politischen definiert<br />

sondern sich in den Dienst einer Organisation und ihrer Gesetze stellt.<br />

Der Parteipolitiker und Spezialist löst den Honoratiorenpolitiker und Generalisten ab:<br />

»Hier in dem Vordringen der Hauptberuflichen, des Apparaturmäßigen, sehe ich die Frage<br />

sich öffnen, ob nicht die technische Vervollkommnung bezahlt wird mit einer Einbuße an<br />

ethischem Elan, der allein der Demokratie die dynamische Kraft gibt, geben soll, geben<br />

kann und damit den inneren Stil.« 133 Als ein Referenzmodell bietet sich ihm der Politiker-<br />

typus von 1848 an: »Wenn es auch an politischen Wichtigtuern nicht fehlte, so war das<br />

erste deutsche Parlament frei von dem Routinier, dem verhüllten oder offenen Interessen-<br />

vertreter, dem Syndikus- und Sekretär-Typus, der, gewiss nicht ohne sachliche Verdiens-<br />

te, später die deutschen Parlamente überschwemmte.« Der Ruhm der Paulskirche mani-<br />

festiere sich gerade in der Ansammlung »durch geistige Leistung hervorragender<br />

Männer«, die den Deutschen zwar keine politische, aber dafür eine »geistige Einheit«<br />

ermöglichten. 134 Das Negativbeispiel ist prototypisch im Abgeordneten Heinrich Rönne-<br />

berg der Weimarer DDP zu finden: »Er war zum 'Geschäftsführer' der Fraktion bestimmt,<br />

höchst betriebsam und bereit, allen Anregungen und Wünschen, den Staat zum Wohle<br />

einzelner Gruppen zu belasten, nachzukommen.« 135<br />

Unter den Bedingungen des Jahres 1945 war diese Skepsis den Prozessen der moder-<br />

nen parlamentarischen Demokratie gegenüber, wie wir sie heute kennen, weit verbreitet.<br />

Demzufolge war auch ein Politikermodell wie das, das <strong>Heuss</strong> entwickelt, anschlussfähig.<br />

So glaubten viele Politiker der ersten Stunde, ihr Amt für ein paar Jahre parallel zu ihren<br />

anderen Aktivitäten ausüben zu können. Bald zeigte sich jedoch, dass Politik ein Vollzeit-<br />

beruf geworden war und dass der Typus des locker mit seiner Fraktion assoziierten Hono-<br />

ratiorenpolitikers den neuen Bedingungen des Parlamentsbetriebs und des Parteiensys-<br />

tems nicht mehr genügt: »Der anhaltende Regelungsbedarf, die immer umfangreicher<br />

und komplexer werdenden, immer mehr spezialisierte Sachkenntnisse erfordernden Ge-<br />

setzgebungsmaterien taten ein übriges.« 136 Wenn auch <strong>Heuss</strong> Realist genug war, um die<br />

Gründe für jenen Paradigmenwechsel in der politischen Führung nachvollziehen zu<br />

können, so fehlen ihm die Antworten auf die Frage, wie man unter solchen Bedingungen<br />

seinen eigenen Ansprüchen an autonome politische Führung gerecht werden kann. Dies<br />

132 <strong>Heuss</strong> (1926); S. 159<br />

133 Dahrendorf/Vogt (1984); Stilfragen der Demokratie«; S. 464<br />

134 <strong>Heuss</strong> (1948); S. 109<br />

135 <strong>Heuss</strong> (1965); S. 222<br />

136 Schüttemeyer (1999); S. 492<br />

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