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pdf | 1MB - Theodor-Heuss - Kolleg

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nur ein Dienstleistungsbetrieb oder eine bloße 'Apparatur', sondern ein 'Träger eingebo-<br />

rener Würde'- mit dieser ausdrücklichen Verneigung vor seinem Landsmann Hegel be-<br />

kannte sich <strong>Heuss</strong> einmal mehr zu jener auf den Staat orientierten Spielart des deutschen<br />

Liberalismus, die sich vom frühen 19. Jahrhundert bis zur DDP der Weimarer Republik<br />

verfolgen lässt.« 122 Langewiesche arbeitet heraus, welche Vorstellungen dazu <strong>Heuss</strong> be-<br />

reits 1920 hatte: »Ein starkes Zentralparlament als Organ der Volkssouveränität, hervor-<br />

gehend aus allgemeinen und freien Wahlen für Männer und Frauen, ohne jede Abstufung<br />

nach welchen Kriterien auch immer. Regierungsbildung aus dem Parlament heraus heißt<br />

das Ziel. Dafür sollte das Wahlsystem sorgen. <strong>Heuss</strong> favorisierte deshalb das Mehrheits-<br />

wahlrecht.« 123 Vorbild dafür ist das englische Zwei-Parteien-System, und der intendierte<br />

Gedanke ist ein Primat der institutionellen Stabilität. Diese Ansicht ändert sich nach dem<br />

Krieg in Akzenten. Zwar sieht <strong>Heuss</strong> in dem Verhältniswahlrecht der Weimarer Zeit (»der<br />

großen Kreise und der langen Listen«) 124 einen wesentlichen Grund für den Verlust an Un-<br />

terstützung des politischen Systems, andererseits befürchtet er in einer einfachen Über-<br />

nahme des britischen Mehrheitswahlrechts gerade die politische Aktivität vieler Demo-<br />

kraten zu lähmen: »Der Proporz [in den Landesregierungen] hatte immerhin in der<br />

politischen 'Diaspora' politisches Leben geweckt, das beim einfachen Majorz wieder ein-<br />

schlafen würde.« 125 Als Ergebnis empfahl er originellerweise ein Mehrheitswahlsystem mit<br />

einem zweiten Verhältniswahlgang, wo er notwendig ist. 126<br />

Es wird deutlich, dass das, was wir heute als »Zivilgesellschaft« diskutieren, nur be-<br />

dingt mit dem zu tun hat, was <strong>Heuss</strong> sich vorstellen wollte: In den aktuellen theoretischen<br />

Diskussionen um Zivilgesellschaft, Sozialkapital oder Kommunitarismus werden gerade die<br />

nicht-staatlichen Bindungskräfte betont, Bürgersinn bei <strong>Heuss</strong> hat demgegenüber weniger<br />

einen aktivierenden, als einen die Parlaments- und Regierungstätigkeit unterstützenden<br />

Charakter. Die »partizipative Revolution (Kaase) und die »Auseinandersetzung zwischen<br />

zwei politischen Kulturen« 127 - der staatsferneren alternativen politischen Kultur und der<br />

staatsnahen repräsentativen politischen Kultur- müsste man demzufolge nicht als Bele-<br />

bung, sondern als Bedrohung des Staates wahrnehmen. Rudolph zieht insbesondere vor<br />

dem Hintergrund der späteren Entwicklungen eine kritische Bilanz: »Auf der anderen Sei-<br />

te lässt Demokratie in <strong>Heuss</strong>' Verständnis verblüffend wenig Raum für die Tendenzen, von<br />

denen viele heute die Verlebendigung einer träge gewordenen politischen Ordnung erwar-<br />

122 Hertfelder (2005); S. 240<br />

123 Langewiesche (2005); S. 16f.<br />

124 Pikart (1966); S. 138<br />

125 Pikart (1966); S. 139<br />

126 Es braucht keine große Phantasie, sich vorzustellen, welchen Platz die Liberalen heute im politischen<br />

System hätten, hätte sich diese Vorstellung durchgesetzt.<br />

127 Sontheimer (1990); S. 29<br />

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