Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
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Ohne Identifikation <strong>der</strong>er, die miteinan<strong>der</strong> sprechen, haben die gleichen Wörter nicht die<br />
gleiche Bedeutung. Man kann sich mit ihnen nicht verständlich machen. Wir haben die<br />
besten Kommunikationsapparate aller Zeiten, aber wir verstehen uns weniger denn je.<br />
Kausale Menschen tauschen wie Tiere – die ebenfalls keinen Geist haben – nur Information<br />
aus, ihre „Sprache“ ist kein Subjektsystem, mit dem man sich identifizieren kann<br />
und die grundsätzlich alles definiert, son<strong>der</strong>n nur die Auswahlliste einer Reihe zusammenhangsloser<br />
Signale nach Art von Binärcodes.<br />
Signale austauschen und darauf reagieren, können auch Computerprogramme.<br />
Ich kann dem freundlichen Herrn am Postschalter sagen, dass ich zehn Son<strong>der</strong>marken<br />
haben möchte. Wenn er darauf wie gewünscht reagiert und mir die Marken gibt, heißt<br />
das nicht, dass wir uns verstehen, son<strong>der</strong>n nur, dass er meine Signale richtig empfangen<br />
hat. Briefmarken kann ich auch aus dem Automaten ziehen.<br />
Kausale Menschen kommunizieren wie Apparate nur auf <strong>der</strong> Ebene des Datentransfers.<br />
Das amerikanische Schulsystem hat sich längst darauf eingestellt: Der Schüler muss auf<br />
einem Fragebogen mit mehreren Lösungen nur noch die richtige ankreuzen (multiple<br />
choice).<br />
Es ist charakteristisch für unsere Zeit, dass sie nicht nur keinen Wert mehr legt auf geschlossene,<br />
wi<strong>der</strong>spruchsfreie philosophische Erklärungsmodelle <strong>der</strong> Welt, son<strong>der</strong>n alle<br />
Versuche in dieser Richtung sogar verspottet.<br />
„Wir wollen keinen Absolutheitsanspruch“, heißt es, „wir brauchen keine Heilslehren.“<br />
Kein Wun<strong>der</strong>, dass ein Großteil unserer Teenager nur noch Wortfetzen, Signale – eine<br />
Art Makros – austauschen. Geredet wird immer weniger, die jungen Leute haben sowieso<br />
meist einen Walkman im Ohr. Wer mit ihnen reden will, muss sie anstoßen. Ihre<br />
Dialoge sind wie von Dadaisten erfunden: Es beginnt mit dem akustischen Anstoß „Hi“<br />
im internationalen Ausrufs-Idiom American Slang. Der so „Angesprochene“ nennt dann<br />
von den fünfzig bis hun<strong>der</strong>t verschiedenen computermäßigen „Verknüpfungen“, die ihm<br />
geläufig sind, etwa die einer CD, einer Disko o<strong>der</strong> eines Mädchens, und <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
klickt dann aus <strong>der</strong> Auswahlbox eine <strong>der</strong> möglichen Antworten super, stark, geil, cool,<br />
irre, ätzend, bock/nullbock an.<br />
Massenblätter wie „Bild“ haben die Objektsprache zu einer Meisterschaft entwickelt:<br />
Die zu Schlagzeilen geronnenen Artikel sind wie die großen Fotos daneben, darunter<br />
und darüber nur noch Signale – Auslöser von Empfindungen nach dem Reiz-<br />
Reaktionsmodell <strong>der</strong> Behavioristen: Unter Umgehung des Geistes wird direkt auf den<br />
Emotionen Klavier gespielt, das Publikum braucht sich ihnen nur noch hinzugeben –<br />
Hasse! Liebe! Weine! Entrüste dich!<br />
Die ideale Zeitung, wenn <strong>der</strong> Mensch ein Tier wäre.<br />
Signale definieren nicht etwas in bezug auf alles, wie die menschliche Sprache. Sie definieren<br />
überhaupt nichts, denn sie entstammen keinem Subjektsystem. Sie sind nicht<br />
frei, son<strong>der</strong>n instinkthaft implementierte Objekte. Sie unterliegen den <strong>Natur</strong>gesetzen<br />
und werden kausal ausgelöst – durch Reize wie etwa Hunger, Schmerz, Furcht, Brunft,<br />
Aggression.<br />
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