Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die <strong>Natur</strong> kennt keine Treue.<br />
Ist ein Blatt seinem Baum treu?<br />
Liebster, solange ich dich liebe, bleibe ich bei dir. Aber wenn es vorbei ist, muss ich<br />
dich verlassen. Du willst doch nicht, dass ich nur aus Mitleid bei dir bleibe? Das wäre<br />
doch Heuchelei.<br />
Nein, das will er nicht. Der kausale Mensch ist hoch moralisch.<br />
Die Abschaffung des Geistes hat ihren Preis.<br />
Beide Partner sehen sich unablässig um, ob sie einen besseren finden, das ist geradezu<br />
ihre Pflicht. Wenn sie mit dem Zweitbesten vorliebnehmen würden, wäre das Verrat am<br />
freien Spiel <strong>der</strong> Kräfte.<br />
Subjektpartner sind einan<strong>der</strong> sicher. Sie wissen, dass sie ohne Treue zu sich selbst und<br />
daher auch zum an<strong>der</strong>en nicht leben können.<br />
Materialisten begreifen das nie.<br />
Sie haben Treue – sie nennen sie die „bürgerliche Moral“ – folgerichtig nur als ein<br />
Relikt „repressiven <strong>Herrschaft</strong>sdenkens“ verstehen können, als etwas durch und durch<br />
Verwerfliches.<br />
Wenn es heißt, dass man alle Menschen lieben soll, warum sollte dann ausgerechnet die<br />
Liebe zum an<strong>der</strong>en Geschlecht Beschränkungen unterworfen sein?<br />
Die Ehe kommt in keinem <strong>Natur</strong>gesetz vor.<br />
In einer kausalen Liebesbeziehung muss je<strong>der</strong> je<strong>der</strong>zeit zum Absprung bereit sein, und<br />
zwar als erster. Denn wer erst als Zweiter abspringt, ist ja mit seiner Liebe noch nicht<br />
fertig und muss leiden. Zu seinem Schmerz kommen Schuld- und Min<strong>der</strong>wertigkeitsgefühle.<br />
Er versucht verzweifelt, sie zu bagatellisieren. Auf keinen Fall darf er sie zeigen,<br />
sonst macht er sich nur lächerlich. Deshalb stürzt er sich so schnell wie möglich in irgendeine<br />
neue Partnerschaft.<br />
Man sollte annehmen, dass es angesichts <strong>der</strong> vielen unvermeidbaren Leiden in dieser<br />
Welt unter den Menschen eine Solidarität gegen das Unglück geben müsste. Aber es<br />
fällt ihnen nichts besseres ein, als das Unglück in <strong>der</strong> Welt zu vermehren – sogar zu<br />
Lasten ihrer nächsten Angehörigen, ja zu Lasten ihrer eigenen Kin<strong>der</strong>.<br />
Den Scheidungswahn gibt es nur in unserer nachchristlichen Kultur, die wir allerdings<br />
in die ganze Welt exportieren.<br />
Überall sonst war Ehebruch ein Tabu, dessen Verletzung oft genug mit dem Tode bestraft<br />
wurde.<br />
Aber Strafen waren selten nötig: Wer wäre schon so töricht gewesen, für einen kurzen<br />
Augenblick <strong>der</strong> Lust ein lebenslanges Familienglück, mit Kin<strong>der</strong>n und Enkeln aufs Spiel<br />
zu setzen? – Eine Scheidung wirkt sich ja noch bis zu den Enkeln und Urenkeln aus.<br />
Wer hätte sich denn nicht lieber totschlagen lassen, als sich selbst zu verraten?<br />
Aber beim kausalen Menschen gilt von allem das Gegenteil.<br />
110