Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus

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Wie sollte er denn sein Kind davon abbringen können, den Naturgesetzen zu folgen, wenn er selbst den Naturgesetzen folgt und das auch noch gut findet? Wie sollte er das Kind erziehen, wenn er ihm den Geist abspricht? Ohne Geist ist Erziehung nur Dressur. Wer würde kausale Eltern nicht verstehen, wenn sie sagen: Wir wollen unser Kind nicht dressieren! Der Subjektmensch dressiert seine Kinder selbstverständlich nicht, er und sine Kinder sind nicht kausal, sie sind dual, Subjekt und Objekt: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, aber der kausale Mensch versteht sich als Einheit, er sieht alles nur „ganzheitlich“, für ihn gibt es keinen Abstand, er weiß sich sogar eins mit dem ganzen Kosmos. Ein „ganzheitlicher Mensch“ lässt sich nicht erziehen. Wo könnte man bei ihm denn ansetzen? Erziehung heißt Identifikation des Erziehers mit dem zu Erziehenden, ein Bündnis ihrer Subjekte gegen ihre „Natur“ und deren Herrschaftsansprüche. Wenn „der Vater“ straft, dann straft er nicht das Subjekt seines Sohnes, sondern – im Bündnis mit ihm – dessen „Natur“, das Objekt. Identifikation mit dem Subjekt, Liebe, ist Voraussetzung für jede erfolgreiche Erziehung, und deshalb ist „der Vater“ auch der beste Erzieher. Die ausgefeiltesten Erziehungskonzepte sind umsonst, wenn diese Identifikation fehlt – wenn der „Sohn“ nicht im „Vater“ ein Vorbild sieht und der „Vater“ den „Sohn“ nicht liebt. Der geliebte „Sohn“ nimmt gerechte Strafe gern an, ist sie doch in seinem Interesse, er will ja genau das, worauf die Strafe zielt: lernen, seine Natur unter Kontrolle zu bringen. Der „Vater“ vertritt das Über-Ich des Sohnes, solange es noch in der Entwicklung ist. Er arbeitet nicht mit Bestechung. Er vermeidet Kausalität. Er bittet nicht, sondern er befiehlt – so wie später beim Erwachsenen der Geist die Natur nicht durch gutes Zureden beherrschen kann, sondern nur durch Vollmacht. Die Natur lässt sich nicht bitten. Wer seiner Natur widerstehen will, braucht geistige Autorität. Der Kampf gegen die Herrschaft der Natur muss jeden Tag trainiert werden. Das ist Erziehung. Der gläubige Christ lässt sich auch noch als Erwachsener gern von Gott erziehen. Weiß er doch, dass es zu seinem eigenen Vorteil ist. Der Gerechte schlage mich – es ist Gnade. Er strafe mich – es ist Öl für mein Haupt, hat David gedichtet 83 . Der kausale Mensch kann das nie und nimmer verstehen, in ihm wohnen nicht „zwei Seelen“, er hat nur eine. Wenn er gestraft wird, dann trifft es ihn immer selbst. Durch Strafe wird er geknickt. Weil er niemanden liebt, sondern nur kitschige Liebesgefühle kennt, kann er nicht verstehen, dass man jemanden lieben und zugleich – oder gar deswegen – strafen kann. Die „antiautoritäre Bewegung“ mit Schlagworten wie „Erziehung ist Mord“ war nur eine logische Folge der Leugnung der Person. Wenn es das Höchste ist, seinen Trieben zu gehorchen, dann muss jede Kontrolle über sie verwerflich sein. 134
Das Experiment ist misslungen. Die Abschaffung aller Verbote hat nicht befreit, sondern versklavt. 135
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