Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
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Für die Menschen des Altertums – die sicher nicht weniger intelligent waren als wir<br />
heute – waren Donner und Blitz Götter. Für uns sind es Phänomene einer elektrischen<br />
Entladung. Wobei das nur die Beschreibung von etwas ist, das im Grunde auch niemand<br />
versteht. Wie es in tausend Jahren gesehen wird, wissen wir nicht.<br />
Ein Großteil <strong>der</strong> Rechtsanwälte und Richter lebt davon, dass verschiedene Personen sich<br />
über den gleichen Sachverhalt nicht einigen können, weil sie verschiedenen Systemen<br />
verhaftet sind.<br />
Wer sich zum Objekt macht, verzichtet auf seine Fähigkeit, selbst zu definieren, er übernimmt<br />
nur fertige Definitionen an<strong>der</strong>er. Da sie nicht seine eigenen sind, weiß er<br />
nicht, was sie sind, er braucht zum Umgang mit ihnen immer Gebrauchsanweisungen:<br />
Er hat keinen eigenen Geschmack, er weiß nicht, was ihm gefällt. Er macht immer an<strong>der</strong>e<br />
nach.<br />
Sein Schlüsselwort heißt Gleichheit. Unsere Verlagslektoren erkennen nur noch Manuskripte,<br />
die wie alle an<strong>der</strong>en sind, und unsere Dramaturgen nur noch Stücke, die wie alle<br />
an<strong>der</strong>en sind.<br />
Mit einem Gedicht, das noch keiner kommentiert hat, kann niemand etwas anfangen.<br />
Tiere können allem Anschein nach nichts definieren, sie haben keine Freiheit bei <strong>der</strong><br />
Wahrnehmung, sie erkennen nur das, wofür es in ihrem Wahrnehmungsapparat Schablonen<br />
gibt. Deshalb verstehen sie auch nichts und haben keine Freiheit des Denkens. Sie<br />
diskutieren nicht, sie haben keine eigenen Meinungen.<br />
Ein Huhn nimmt vermutlich dann einen Raubvogel wahr, wenn <strong>der</strong> Raubvogel und die<br />
im Bewusstsein eingebaute Schablone eines Raubvogels deckungsgleich sind. Deswegen<br />
lassen sich Hühner auch durch Attrappen täuschen. Aber ein Subjekt bestimmt immer<br />
neu, was es sieht, indem es das Gesehene bei je<strong>der</strong> neuen Wahrnehmung von allem<br />
an<strong>der</strong>en unterscheidet, was es nicht ist.<br />
Das Subjekt ist souverän. Ihm kann niemand eine bestimmte Definition von außen aufzwingen<br />
– we<strong>der</strong> durch Folter noch durch Bestechung. Alles, auch <strong>der</strong> schlüssigste wissenschaftliche<br />
Beweis, ist darauf angewiesen, vor dem Souverän Subjekt Gnade zu finden.<br />
Das Objekt unterliegt naturwissenschaftlichen Beweisen, aber als Subjekte entziehen<br />
wir uns jeglicher Beurteilung, können aber unsererseits alles beurteilen.<br />
Das ist Freiheit.<br />
Das Subjekt hat wahrhaft göttliche Eigenschaften.<br />
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