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Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus

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Die abstrakte Wirklichkeit und die Wirklichkeit <strong>der</strong> Abstraktion<br />

Keine Landschaft gleicht <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Berge und Täler, Wäl<strong>der</strong> und Wiesen – <strong>der</strong><br />

Raum, in dem sich das Leben abspielt, ist voller Vielfältigkeit.<br />

Aber <strong>der</strong> mathematische Raum ist gleich.<br />

Sitze ich wirklich im Flugzeug o<strong>der</strong> nur in einem Koordinatenwandler? Was ist <strong>der</strong> Unterschied?<br />

Eine Flugreise hat nichts von einer Reise, sie heißt bloß noch so.<br />

Sie ist wie etwas Gedachtes.<br />

Ich spüre keinen Fahrtwind, nichts verän<strong>der</strong>t sich, ich schwitze nicht und friere nicht,<br />

ich werde we<strong>der</strong> hungrig noch durstig. Müde werde ich nur vom ewigen Sitzen. Ich sehe<br />

keine Bäume und keine Fel<strong>der</strong> vorbeiziehen, die Welt weit unter mir bleibt bloße Theorie.<br />

Es gibt we<strong>der</strong> Staub noch Regen. Das Konkreteste sind die Schießereien in den auf<br />

vielen kleinen Monitoren flackernden Videofilmen.<br />

Das macht die <strong>Herrschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> aus <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>.<br />

In einer mittelalterlichen Stadt waren alle Häuser verschieden, aber unsere nach den<br />

<strong>Natur</strong>gesetzen gebauten Städte sind sich weltweit zum Verwechseln gleich. Hast du eine<br />

gesehen, kennst du alle. Weil sie gleich sind, fehlt ihnen das Unverwechselbare.<br />

Flüsse orientieren sich an abstrakten Linien, Urwäl<strong>der</strong> weichen <strong>der</strong> Geometrie von Industrieanlagen.<br />

Die <strong>Herrschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> zerstört die <strong>Natur</strong>, die <strong>Herrschaft</strong> des Geistes hatte sie bewahrt.<br />

Der kausale Mensch scheut die konkrete Wirklichkeit, weil sie nicht gleich ist und seinem<br />

Geist, von dem er nichts wissen will, Aufgaben stellt. Die Konfrontation mit <strong>der</strong><br />

konkreten Wirklichkeit würde Freiheit und Verantwortung erfor<strong>der</strong>n. Beides hat er abgelegt.<br />

Die synthetische, die gleichgemachte Wirklichkeit ist schon zu Ende gedacht, und das<br />

Konkrete, noch nicht zu Ende Gedachte da draußen lassen wir noch zu Ende denken –<br />

von an<strong>der</strong>en. Damit es für uns genießbar wird – in Form vorgefertigter, abstrakter Information.<br />

Unser Bewusstsein bekommt keine frische Nahrung mehr, alles ist schon vorgekaut.<br />

Wir bewegen uns fast nur noch in theoretischen, „durchdachten“ Strukturen – in Exkrementen<br />

von Bewusstseinen.<br />

Die vorverarbeitete Realität kann zu fatalen Verwechslungen führen. Die Darstellung<br />

auf einem Monitor kann Fiktion sein o<strong>der</strong> Realität. Ehebrecherische Beziehung mit einer<br />

synthetischen Partnerin auf dem vernetzten Computer-Monitor ist keine – o<strong>der</strong> vielleicht<br />

doch? Die Bedienung <strong>der</strong> Tastatur kann ein Computerspiel bestimmen o<strong>der</strong> den<br />

Tod von einer Million Menschen. Der Unterschied zwischen Gut und Böse ist nicht<br />

mehr auszumachen und hat seinen Sinn verloren.<br />

Die <strong>Herrschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Natur</strong>gesetze über den Geist hat die Abstraktion wirklich und die<br />

Realität unwirklich gemacht. Sie sind jetzt ein und dasselbe.<br />

Die <strong>Natur</strong> denkt und das Denken ist <strong>Natur</strong>.<br />

Der Film ist das Leben und das Leben ist Film.<br />

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