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Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus

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Kausalierungsdividende<br />

Es war dem Menschen zu allen Zeiten bewusst – ausgenommen zu unserer – dass <strong>der</strong><br />

Geist sein kostbarster Besitz ist. Dass <strong>der</strong> Geist das ist, was den Menschen überhaupt<br />

erst zum Menschen macht.<br />

Daher hat er ihn noch besser gehütet als die Amerikaner ihren nationalen Goldschatz in<br />

Fort Knox. Er hat ihn mit einem vielfachen Festungswerk umgeben. Mit Religionen, mit<br />

Moral- und Strafgesetzen, mit Sitten und Ehre, mit Stolz und Anstand, mit Tabus und<br />

Höflichkeit, mit Erziehung, Polizei und Justiz.<br />

Mit Kultur.<br />

Aber kostbare Schätze haben schon immer übles Gesindel angezogen.<br />

Am attraktivsten unter allen Kulturen war für die Schatzräuber die christliche.<br />

Denn durch ihre Identifikation des Geistes Gottes mit dem Geist des Menschen war sie<br />

die reichste, ihr harter Kern besaß den höchsten aller Werte, er hatte nämlich den Geist<br />

Gottes in sich – Christus in uns, die Hoffnung <strong>der</strong> Herrlichkeit. 67<br />

Der Verbrecherbande, die sich am Geist vergriffen hat, geht es um die Vermarktung<br />

seiner Tabus.<br />

Es gehört zum Wesen eines Tabus, dass es zwar nicht gebrochen werden darf, dass aber<br />

gerade deshalb sein Bruch ein beson<strong>der</strong>er Nervenkitzel ist.<br />

Witze über Gott sind die gepfeffertsten. Sie rangieren noch vor denen über Sex.<br />

Beim Raubmord am Geist gab es viel zu erben.<br />

Einzeltäter hatte es schon immer gegeben, aber seit dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t sah sich das<br />

Bollwerk des Geistes von ganzen Bataillonen belagert. Unter dem Schlagwort „Aufklärung“<br />

wurden alle geistigen Werte den <strong>Natur</strong>wissenschaften unterworfen.<br />

Schon das Wort „Aufklärung“ war eine Lüge, denn es wurde nicht aufgeklärt, son<strong>der</strong>n<br />

verdunkelt. Die Menschen sollten für eine neue Religion gewonnen werden, für die primitivste,<br />

die es bis dahin gegeben hatte, für die Religion, dass es nichts Höheres gibt als<br />

die <strong>Natur</strong>wissenschaften.<br />

Der Geist wurde mit den Methoden <strong>der</strong> Mechanik und <strong>der</strong> Wärmelehre gewogen und zu<br />

leicht befunden, Kraft mal Weg, – die Elektrizität war ja noch nicht entdeckt.<br />

Beim Anblick <strong>der</strong> von ihm produzierten mächtigen Dampfmaschinen erschauerte <strong>der</strong><br />

Mensch in heiliger Ehrfurcht vor sich selbst. Die Idee kam auf, dass <strong>der</strong> Mensch niemand<br />

an<strong>der</strong>es sei als Gott selbst.<br />

Zum Ergötzen <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde auch eine neue<br />

literarische Form erfunden, die des Romans, dessen Hauptgegenstand die Enttabuisierung<br />

<strong>der</strong> ehelichen Treue zugunsten <strong>der</strong> „romantischen“, also <strong>der</strong> den <strong>Natur</strong>gesetzen<br />

folgenden „freien“ Liebe war.<br />

„Freiheitsliebende“ Autoren wie Stendhal und Maupassant bahnten ihr den Weg über<br />

„unmenschliche“ Klassenschranken hinweg und aus „muffigen Ehegefängnissen“ heraus.<br />

Sie entsprachen einem allgemeinen Bedürfnis, das es zwar schon immer gegeben<br />

hatte, das aber aus gutem Grund immer tabuisiert gewesen war.<br />

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