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Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus

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Die wichtigste Beziehung zwischen Liebenden war einmal ihre Identifikation mittels<br />

Sprache – verbal und nonverbal. Werben, Liebesbriefe, Liebesgeflüster.<br />

Inzwischen sehen viele Paare keine Notwendigkeit mehr darin, miteinan<strong>der</strong> zu reden.<br />

Sie wissen nicht mehr, was das ist, sich zu verstehen. Sie wollen es gar nicht wissen, sie<br />

wollen eine erotische Beziehung mit einem Fremden. Sie sagen: „Wir verstehen uns<br />

prima im Bett“, was absolut nichts mit Verstehen zu tun hat.<br />

Das menschliche Verhalten besteht mangels Geist nur noch aus Reiz und Reaktion. Wir<br />

funktionieren nur noch wie Apparate und werden behandelt wie Apparate. An allen Ecken<br />

und Enden treffen wir auf Tastaturen, in die Zahlencodes einzugeben sind, und auf<br />

Scanner, die „lesen“ können.<br />

Die Technik kommuniziert nach ihren Bedingungen mit sich selbst.<br />

Weil die Objektsprache das Subjekt nicht anspricht, ist sie „fremd“. Sie reiht nur Wörter<br />

aneinan<strong>der</strong>, die ihren Kontext verloren haben. In <strong>der</strong> kausalen Literatur werden Objekte<br />

und kausale Menschen ohne jeden sinnvollen Bezug zueinan<strong>der</strong> o<strong>der</strong> zu irgend etwas<br />

vorgeführt. Wenn die Figuren Becketts reden, dann sind sie noch stummer, als wenn sie<br />

schwiegen. Die Sprache ist ihrer primären Funktion des Verstehens, <strong>der</strong> Verständigung,<br />

entleert. Sie ist überflüssig, denn sie transportiert keinen Sinn mehr, son<strong>der</strong>n nur noch<br />

das Sinnlose. Signale, Schreie – ins Leere, denn sie verhallen ungehört, weil sie bei<br />

niemandem ankommen.<br />

Die Objektsprache verweigert dem kausalen Menschen gerade das, was er am dringendsten<br />

braucht: seine Definition.<br />

Frauen beim Kaffeeklatsch: Sie unterhalten sich über ihre Lebenspartner wie über komische<br />

Versuchstiere. Sie identifizieren sich nicht mit ihnen. Sie sprechen nicht im Wir.<br />

Sie sagen nicht: Wir denken so und so, wir finden das und das gut o<strong>der</strong> schlecht. Der<br />

Lebenspartner ist für sie ein Frem<strong>der</strong>. Sie beschreiben ihn als Objekt: Stell dir vor, er hat<br />

das und das gesagt. Stell dir vor, er verlangt das und das von mir. Als wäre er ein Außerirdischer.<br />

Wenn ich das und das tue, dann reagiert er so und so. Es geht um den Austausch<br />

von Gebrauchsanweisungen für das Objekt Mann mit dem Zweck, von ihm die<br />

meisten Vorteile und das bequemste Verhalten zu bekommen. Die Freundin rät: Versuch<br />

es doch mal so und so und paß auf, wie er dann reagiert. Das nächste Mal wird<br />

dann das neue Dressurkunststück vorgeführt: Stell dir vor, ich habe ihn schon soweit,<br />

dass er nicht nur abspült, son<strong>der</strong>n auch das Baby wickelt und mir jede Woche Blumen<br />

mitbringt. Sie hat ihn zum perfekten Automaten abgerichtet.<br />

Die universelle Welt-Objektsprache – allen Menschen, Tieren, Maschinen und an<strong>der</strong>en<br />

Objekten verständlich – ist im Kommen. Die Kommunikation im Internet läuft zum<br />

großen Teil über das Anklicken von Ikons.<br />

Auch die Kunst spricht kausal. Ein Kunstwerk teilt nichts mehr in einem sinnvollen<br />

Gesamtzusammenhang mit, son<strong>der</strong>n ist nur ein möglichst unvermittelter, sinnloser Ausruf.<br />

Zu den Grundregeln, zu denen sich <strong>der</strong> frühe Buñuel bekannt hat, gehörte, dass eine<br />

Filmhandlung niemals sinnvoll sein darf.<br />

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