Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus

Der kausale Mensch ist süchtig
Der kausale Mensch lebt augenblicksbezogen.
Sein einziger Lebenszweck ist die lustvolle Unterwerfung unter seine Triebe. Freud und
Leid hängen für ihn nur von der angenehmen oder unangenehmen Stimulation des Gehirns
ab – von guten Gefühlen. Er weiß gar nicht, dass es außer schönen Gefühlen noch
andere Freuden gibt.
Deshalb braucht er ständig Lustreize.
Die Stimulation des Gehirns kann entweder auf dem Umweg durch die Sinne erfolgen,
oder direkt durch chemische Stoffe, also durch Drogen.
Millionen schlucken täglich Tranquilizer, weil es in ihrem Leben hinten und vorn nicht
mehr stimmt. Sie suchen das Vergessen.
Valium löst Scheinprobleme.
Die alten Süchte haben zugenommen, neue sind entstanden. Neben dem Alkoholiker
und Drogensüchtigen kennen wir den Workaholic und sogar den Sexaholic.
Es liegt in der Natur vieler Drogen, dass die Dosis ständig erhöht werden muss, um
noch den gleichen Effekt zu erzielen.
Jogger bringen durch Überanstrengung das Gehirn zur Eigenproduktion chemischer
Glücksstoffe, Bungeespringer stürzen sich an Gummiseilen von Brücken, Raser bedrohen
sich und andere auf der Autobahn mit dem Leben – nur um aus „Grenzsituationen“
chemische Glücksstoffe zu gewinnen.
Selbst Musik ist ein Rauschmittel, artgerecht appliziert mit technisch aufwendiger Elektronik.
In der Welt des kausalen Menschen muss eigentlich alles eine Droge sein, denn alles hat
nur den einen Zweck: den Geist zu betäuben, die Schuld zu verdrängen.
War die Person früher für ihre Süchte selbst verantwortlich, so hat man heute im Süchtigen
einen kausalen Menschen vor sich, der zu einer eigenen Verantwortung nicht fähig
ist.
So werden Süchte folgerichtig als Krankheiten eingestuft, für die man – wie für alles
andere – nichts kann.
Die Unterwerfung unter die Natur hat uns alle krank gemacht.
Je deutlicher die Symptome werden, desto entschiedener sorgt die Öffentlichkeit für die
Verstärkung ihrer Ursachen. Denn in einer Welt, die Kopf steht, ist das Falsche richtig
und das Richtige falsch.
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