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Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus

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Kopiert und wie<strong>der</strong>holt wird alles: Objekte ebenso wie ihr Verhalten.<br />

In jedem Kaufhaus <strong>der</strong> Welt werden die gleichen Waren verkauft. Großserien machen<br />

das Leben immer komfortabler.<br />

Excuse me, Sir, is this a Munich Hilton or a Tokyo Hilton?, fragt ein Gast an <strong>der</strong> Rezeption,<br />

und das ist fast kein Witz mehr.<br />

Das gleiche Leben an jedem Ort und an jedem Tag. Wurden die Unterschiede von Raum<br />

und Zeit vielleicht schon ganz abgeschafft?<br />

Dass die Leute trotzdem noch alt werden und sterben, ist ein Anachronismus. Er muss<br />

weg.<br />

Originale werden immer teurer, Kopien und Wie<strong>der</strong>holungen immer billiger.<br />

Die einzigartigen Spitzenleistungen einzelner schöpferischer Menschen sind allen gleichermaßen<br />

zugänglich.<br />

Carl Benz hat für alle das Auto erfunden. Niemand, <strong>der</strong> ein Auto braucht, muss es noch<br />

einmal erfinden. Zum Telefonieren braucht es keine telepathischen Fähigkeiten mehr,<br />

niemand muss fliegen können, um zu fliegen. Und je<strong>der</strong> kann in seiner Stereoanlage die<br />

besten Symphonieorchester <strong>der</strong> Welt für sich aufspielen lassen.<br />

Persönliches Können ist nur noch bei wenigen erfor<strong>der</strong>lich, alle an<strong>der</strong>en profitieren von<br />

den Kopien, so gibt es immer weniger Arbeit.<br />

Kopiert wird alles, was das Herz begehrt, und je mehr Herzen das Gleiche begehren,<br />

weil sie gleich sind, desto billiger das Vergnügen.<br />

Vor zweihun<strong>der</strong>t Jahren war auf <strong>der</strong> Welt nichts von Menschen Hergestelltes gleich.<br />

Wer sich heute in seiner Wohnung umsieht, tut sich schwer, noch Originale zu finden:<br />

Die Lampe, die Tür, die Vitrine, die Fenster, die Couch, das Gemälde an <strong>der</strong> Wand –<br />

alles Serienprodukte. Und sollte es wirklich einmal ein Original sein, so ist es das teure<br />

Original vieler Kopien.<br />

Bei soviel Gleichheit stört nur noch das Individuum.<br />

Weil Kopien und Wie<strong>der</strong>holungen sich bis aufs i-Tüpfelchen gleichen, lohnt es sich<br />

nicht mehr, genau hinzusehen. Sie sind nichts Beson<strong>der</strong>es mehr, sie haben an Wirklichkeit<br />

eingebüßt – ihnen haftet etwas Abstraktes an.<br />

Sie gleichen mehr Denkstrukturen als <strong>der</strong> Wirklichkeit, sie machen uns für die Wirklichkeit<br />

immer blin<strong>der</strong>.<br />

War es ein roter Ford o<strong>der</strong> ein weißer Opel, o<strong>der</strong> umgekehrt? Waren wir gestern bei<br />

unseren neuen Freunden in Haus Nummer 14 o<strong>der</strong> Nummer 16?<br />

Der Wert <strong>der</strong> Kopien liegt nicht in ihnen selbst, son<strong>der</strong>n in ihrer wissenschaftlichtechnischen<br />

Brauchbarkeit. Sie sind nur Mittel zum Zweck. Sie bringen – fast möchte<br />

man sagen, denken – uns irgendwohin, und zwar so rasch wie möglich.<br />

Aber wohin? – Auch das Ziel ist nicht wichtig, weil auch das Ziel eine Kopie ist, eine<br />

Abstraktion.<br />

Kopien sparen Zeit, das heißt Leben.<br />

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