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Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus

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Was wie eine freie Entscheidung aussieht, ist keine.<br />

Die junge Frau hat sich nicht etwa deshalb ein gelbes Kopftuch gekauft, weil sie sich<br />

spontan dazu entschlossen hat, wie sie meint, son<strong>der</strong>n weil sie einen unbewussten Hass<br />

gegen ihren Mann hegt und heimlich einen an<strong>der</strong>en liebt.<br />

Zu je<strong>der</strong> scheinbar freien Entscheidung gehört eine Ursache, und das Unbewusste ist<br />

voll davon, – voller Zeitbomben, die je<strong>der</strong>zeit hochgehen können.<br />

Nur in Unkenntnis dieser Tatsache hatte man auf den menschlichen Geist schließen<br />

können.<br />

Aber es gibt ihn nicht, weil es keine Freiheit gibt.<br />

Das alles lässt sich naturwissenschaftlich zwar nicht beweisen, und gegen die innere<br />

Gewissheit ist es sowieso, aber es macht unschuldig. Und wer würde schon gern sein<br />

eigenes Alibi in Frage stellen, wenn es ihm in den Schoß fällt?<br />

Längst haben sich alle möglichen Wun<strong>der</strong>heiler <strong>der</strong> Lehre Freuds bemächtigt. Sie führen<br />

uns ins Labyrinth unserer Seelen hinab, begegnen dort allerlei skurrilen „Symbolen“ –<br />

Göttern und Dämonen – und reisen in frühere „Inkarnationen“ zurück. Buddhismus und<br />

Hinduismus lassen grüßen. Zweck <strong>der</strong> Übung ist, sich mit den angeblichen Verursachern<br />

von Glück und Unglück, Gesundheit und Krankheit gut zu stellen: Sie anzubeten.<br />

Der kausale Mensch ist ein hun<strong>der</strong>tprozentiges Produkt objektiver Einflüsse, er unterliegt<br />

zu hun<strong>der</strong>t Prozent den <strong>Natur</strong>gesetzen.<br />

Es ist ganz logisch, dass er sich die dazu passenden Psychologen mit <strong>der</strong> dazu passenden<br />

Psychologie geschaffen hat: Eine Psychologie <strong>der</strong> menschlichen <strong>Natur</strong> und nicht eine<br />

Psychologie <strong>der</strong> menschlichen Person – eine Psychologie des Objekts und nicht eine des<br />

Subjekts.<br />

So wie es keine persönliche Physik gibt, so kann es auch keine persönliche Anatomie<br />

geben, kein persönliches Geschlecht – und, so meint er, keine persönliche Psychologie.<br />

Die kausale Seele <strong>der</strong> kausalen Psychologie besteht aus zähl- und messbaren Quantitäten.<br />

Der Mensch ist nicht mehr Individuum, son<strong>der</strong> immer nur ein Exemplar seiner Serie –<br />

seiner Gattung. Sein Innenleben besteht im Grunde aus genau den gleichen Einzelteilen<br />

wie das aller an<strong>der</strong>en.<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht des Laien vollbringen unsere Gerichtspsychologen wahre Wun<strong>der</strong>. Sie<br />

sind in <strong>der</strong> Lage, die Beweggründe für das Fehlverhalten eines Angeklagten genau so<br />

klar zu erkennen wie ein Elektrotechniker die Ursache für die Fehlfunktion einer Leiterplatte.<br />

Als Shakespeare seinen Julius Cäsar sagen ließ: Lasst wohlbeleibte Männer um mich<br />

sein, mit glatten Köpfen, und die nachts gut schlafen!, konnte er nicht ahnen, dass die<br />

Psychologie wirklich einmal dahin kommen würde, die Person mit einem Instrumentarium<br />

nach Art <strong>der</strong> Personenwaage zu beurteilen o<strong>der</strong>, wie man sagt, zu „testen“.<br />

Eine wahre Psychologie – eine Psychologie des Subjekts – wäre nicht naturwissenschaftlich,<br />

denn das Subjekt ist nicht kausal. Um die falsche Religion des kausalen<br />

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