Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
Herrschaft der Natur - Wagn, Klaus
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Wir haben uns nur arrangiert.<br />
Wir sind mit <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> versöhnt. Denn wir sind jetzt selbst <strong>Natur</strong>. Es ist die größte Revolution<br />
in <strong>der</strong> Geschichte: Was oben war, ist jetzt unten, was unten war, oben.<br />
Seiner <strong>Natur</strong> zu folgen ist nicht mehr Sünde, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> höchste Wert. Seiner <strong>Natur</strong><br />
nicht zu folgen, ist ein Verbrechen.<br />
Was früher gut war, ist jetzt schlecht, was schlecht war, ist gut.<br />
Untreue ist gesund, Treue macht krank, <strong>der</strong> neue Mensch ist nur noch eine Tierart.<br />
Die Evolution, sonst immer auf Fortschritt abonniert, hat einen mächtigen Salto rückwärts<br />
gemacht, sie hat den von ihr angeblich erfundenen Geist wie<strong>der</strong> verworfen: Aus<br />
<strong>der</strong> göttlichen Rechtfertigung durch Glauben – Kulminationspunkt menschlicher Kultur<br />
– wurde wie<strong>der</strong> die Rechtfertigung durch Unglauben, wie sie die Primaten schon einmal<br />
hatten.<br />
Denn Tiere sündigen nicht.<br />
Eine solche Regression, ein solch dramatischer Absturz, war nur von <strong>der</strong> christlichen<br />
Kultur aus möglich.<br />
Nur mit <strong>der</strong> christlichen Kultur haben wir die <strong>Natur</strong>wissenschaften hervorbringen können,<br />
denn nur in <strong>der</strong> christlichen Kultur konnte sich die Materie zu einem scheinbar von<br />
Gott unabhängigen, autonomen Reich – <strong>der</strong> Objektivität – verselbständigen.<br />
Die Gottlosigkeit ist ausschließlich eine Errungenschaft des Christentums, und nur die<br />
christliche Gottlosigkeit hat den kausalen Menschen hervorbringen können.<br />
Ohne erniedrigende fremde Hilfe, ohne fromme Werke, ohne Gnade, ohne jede Verpflichtung<br />
gegenüber irgendeinem Gott, haben wir den schuldigen Menschen in einen<br />
unschuldigen verwandelt.<br />
Durch seinen Sündenfall hatte Adam den Geist nur zum Sklaven <strong>der</strong> <strong>Natur</strong> gemacht, <strong>der</strong><br />
unablässig nach Befreiung strebte.<br />
Wir aber haben ihn vollends abgeschafft.<br />
Das soll uns mal einer nachmachen!<br />
Das Wort Sünde wird in seiner eigentlichen Bedeutung nicht mehr verwendet. Es wurde<br />
vom Sün<strong>der</strong> getrennt und bezeichnet jetzt etwas eher Schönes: Erotik. Der Sün<strong>der</strong> ohne<br />
Sünde kommt nur noch in einer weltlichen Niedlichkeitsform daher: als Verkehrs-,<br />
Steuer- und Umweltsün<strong>der</strong>. Man streichelt ihn mit kleinen Geldbußen.<br />
Erotik halten nur Spießer für verwerflich, und <strong>der</strong> Verkehrssün<strong>der</strong> braucht keinen Gott,<br />
son<strong>der</strong>n nur ein wenig Bußgeld.<br />
Wo kein Wasser mehr da ist, da ertrinkt auch keiner mehr. Und wo keiner mehr ertrinkt,<br />
da sind Retter nicht gefragt.<br />
Von <strong>der</strong> einstigen Schuld sind nur noch Schuldgefühle übriggeblieben. Für Gefühle<br />
kann man nichts. Um sie vollends loszuwerden, hat die nachchristliche Kultur ein dicht<br />
geknüpftes Netz von Psychotherapeuten geschaffen.<br />
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