Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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Opferruf »Teilung der Arbeit! In Reih und Glied!« im Munde führen, ist<br />
einmal klärlich und rund zu sagen: wollt ihr die Wissenschaft möglichst<br />
schnell fördern, so werdet ihr sie euch möglichst schnell vernichten;<br />
wie euch die Henne zugrunde geht, die ihr künstlich zum<br />
allzuschnellen Eierlegen zwingt. Gut, die Wissenschaft ist in den letzten<br />
Jahrzehnten erstaunlich schnell gefördert worden: aber seht euch<br />
nun auch die Gelehrten, die erschöpften Hennen an. Es sind wahrhaftig<br />
keine »harmonischen« Naturen; nur gackern können sie mehr<br />
als je, weil sie öfter Eier legen: freilich sind auch die Eier immer kleiner<br />
(obzwar die Bücher immer dicker) geworden. Als letztes und natürliches<br />
Resultat ergibt sich das allgemein beliebte »Popularisieren«<br />
(nebst »Feminisieren« und »Infantisieren«) der Wissenschaft, das<br />
heißt das berüchtigte Zuschneiden des Rocks der Wissenschaft auf<br />
den Leib des »gemischten Publikums«: um uns hier einmal für eine<br />
schneidermäßige Tätigkeit auch eines schneidermäßigen Deutsches<br />
zu befleißigen. Goethe sah darin einen Mißbrauch und verlangte, daß<br />
die Wissenschaften nur durch eine erhöhte Praxis auf die äußere<br />
Welt wirken sollten. Den älteren Gelehrten-Generationen dünkte<br />
überdies ein solcher Mißbrauch aus guten Gründen schwer und lästig:<br />
ebenfalls aus guten Grün den fällt er den jüngeren Gelehrten<br />
leicht, weil sie selbst, von einem ganz kleinen Wissens-Winkel abgesehn,<br />
sehr gemischtes Publikum sind und dessen Bedürfnisse in sich<br />
tragen. Sie brauchen sich nur einmal bequem hinzusetzen, so gelingt<br />
es ihnen, auch ihr kleines Studienbereich jener gemischt-populären<br />
Bedürfnis-Neubegier aufzuschließen. Für diesen Bequemlichkeitsakt<br />
prätendiert man hinterdrein den Namen »bescheidene Herablassung<br />
des Gelehrten zu seinem Volke«: während im Grunde der Gelehrte<br />
nur zu sich, soweit er nicht Gelehrter, sondern Pöbel ist, herabstieg.<br />
Schafft euch den Begriff eines »Volkes«: den könnt ihr nie edel und<br />
hoch genug denken. Dächtet ihr groß vom Volke, so wäret ihr auch<br />
barmherzig gegen dasselbe und hütetet euch wohl, euer historisches<br />
Scheidewasser ihm als Lebens- und Labetrank anzubieten. Aber ihr<br />
denkt im tiefsten Grunde von ihm gering, weil ihr vor seiner Zukunft<br />
keine wahre und sicher gegründete Achtung haben dürft, und ihr<br />
handelt als praktische Pessimisten, ich meine als Menschen, welche<br />
die Ahnung eines Unterganges leitet und die dadurch gegen das<br />
fremde, ja gegen das eigne Wohl gleichgültig<br />
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und läßlich werden. Wenn uns nur die Scholle noch trägt! Und wenn<br />
sie uns nicht mehr trägt, dann soll es auch recht sein: – so empfinden<br />
sie und leben eine ironische Existenz.<br />
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