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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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y) Das wahrhafte Kunstwerk muß von dieser schiefen Originalität<br />

befreit werden, denn es erweist seine echte Originalität nur dadurch,<br />

daß es als die eine eigene Schöpfung eines Geistes erscheint, der<br />

nichts von außen her aufliest und zusammenflickt, sondern das Ganze<br />

im strengen Zusammenhange aus einem Guß, in einem Tone sich<br />

durch sich selber produzieren läßt, wie die Sache sich in sich selbst<br />

zusammengeeint hat. Finden sich dagegen die Szenen und Motive<br />

nicht durch sich selber, sondern bloß von außen her zueinander, so<br />

ist die innere Notwendigkeit ihrer Einigung nicht vorhanden, und sie<br />

erscheinen nur als zufällig durch ein drittes, fremdes Subjekt verknüpft.<br />

So ist Goethes Götz besonders seiner großen Originalität wegen<br />

bewundert worden, und allerdings hat Goethe, wie schon oben<br />

gesagt ist, mit vieler Kühnheit in diesem Werke alles geleugnet und<br />

mit Füßen getreten, was von den damaligen Theorien der schönen<br />

Wissenschaften als Kunstgesetz festgestellt war. Dennoch ist die<br />

Ausführung nicht von wahrhafter Originalität. Denn man sieht diesem<br />

Jugendwerke noch die Armut eigenen Stoffs an, so daß nun viele<br />

Züge und ganze Szenen, statt aus dem großen Inhalte selber herausgearbeitet<br />

zu sein, hier und dort aus den Interessen der Zeit, in<br />

der es verfaßt ist, zusammengerafft und äußerlich eingefügt erscheinen.<br />

Die Szene z. B. des Götz mit dem Bruder Martin, welcher auf<br />

Luther hindeutet, enthält nur Vorstellungen, welche Goethe aus dem<br />

geschöpft hat, worüber man in dieser Periode in Deutschland die<br />

Mönche wieder zu bedauern anfing: daß sie keinen Wein trinken dürften,<br />

schläfrig verdauten, dadurch mancherlei Begierden anheimfielen<br />

und überhaupt die drei unerträglichen Gelübde, der Armut, Keuschheit<br />

und des Gehorsams, ablegen müßten. Dagegen begeistert sich<br />

Bruder Martin für das ritterliche Leben Götzens: wie dieser mit der<br />

/384/<br />

Beute seiner Feinde beladen sich erinnere: »Den stach ich vom<br />

Pferd, eh er schießen konnte, und den rannt ich samt dem Pferd nieder«,<br />

und dann auf sein Schloß komme und sein Weib finde; er trinkt<br />

auf Frau Elisabeths Gesundheit — und wischt sich die Augen. — Mit<br />

diesen zeitlichen Gedanken aber hat Luther nicht angefangen, sondern<br />

eine ganz andere Tiefe der religiösen Anschauung und Überzeugung<br />

aus Augustin als ein frommer Mönch geschöpft. In derselbigen<br />

Weise folgen dann gleich in den nächsten Szenen pädagogische<br />

Zeitbeziehungen, die insbesondere Basedow 20 in Anregung gebracht<br />

hatte. Die Kinder z. B., hieß es dam als, lernten viel unverstandenes<br />

Zeug, die rechte Methode aber bestände darin, sie durch Anschauung<br />

und Erfahrung Realien zu lehren. Karl nun sagt seinem Vater<br />

ganz so, wie es zu Goethes Jugendzeit Mode war, auswendig her:<br />

»Jaxthausen ist ein Dorf und Schloß an der Jaxt, gehört seit zweihundert<br />

Jahren den Herrn von Berlichingen erb- und eigentümlich<br />

zu«; als jedoch Götz ihn fragt: »Kennst du den Herrn von Berlichingen?«,<br />

sieht der Bub ihn starr an und kennt vor lauter Gelehrsamkeit<br />

20 Johann Bernhard Basedow, 1723-1790, Pädagoge<br />

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