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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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und seine Thätigkeit sich darstellt, die einfachste und seine Beschreibung<br />

am leichtesten. Dennoch ist eben hier die Quelle nachgewiesen,<br />

aus<br />

/448/<br />

welcher alle ächten Produktionen, in jeder Kunst, auch in der Poesie,<br />

ja, in der Philosophie, ihren Ursprung nehmen; wiewohl dabei der<br />

Hergang nicht so einfach ist.<br />

Man erinnere sich hier des im ersten Buche erhaltenen Ergebnisses,<br />

daß alle Anschauung intellektual ist und nicht bloß sensual. Wenn<br />

man nun die hier gegebene Auseinandersetzung dazu bringt und<br />

zugleich auch billig berücksichtigt, daß die Philosophie des vorigen<br />

Jahrhunderts das anschauende Erkenntnißvermögen mit dem Namen<br />

der »untern Seelenkräfte« bezeichnete; so wird man, daß Adelung,<br />

welcher die Sprache seiner Zeit reden mußte, das Genie in »eine<br />

merkliche Stärke der untern Seelenkräfte« setzte, doch nicht so<br />

grundabsurd, noch des bittern Hohnes würdig finden, womit Jean<br />

Paul, in seiner Vorschule der Aesthetik, es anführt. So große Vorzüge<br />

das eben erwähnte Werk dieses bewunderungswürdigen Mannes<br />

auch hat; so muß ich doch bemerken, daß überall, wo eine theoretische<br />

Erörterung und überhaupt Belehrung der Zweck ist, die beständig<br />

witzelnde und in lauter Gleichnissen einherschreitende Darstellung<br />

nicht die angemessene seyn kann.<br />

Die Anschauung nun aber ist es, welcher zunächst das eigentliche<br />

und wahre Wesen der Dinge, wenn auch noch bedingterweise, sich<br />

aufschließt und offenbart. Alle Begriffe, alles Gedachte, sind ja nur<br />

Abstraktionen, mithin Theilvorstellungen aus jener, und bloß durch<br />

Wegdenken entstanden. Alle tiefe Erkenntniß, sogar die eigentliche<br />

Weisheit, wurzelt in der anschaulichen Auffassung der Dinge; wie wir<br />

dies in den Ergänzungen zum ersten Buch ausführlich betrachtet haben.<br />

Eine anschauliche Auffassung ist allemal der Zeugungsproceß<br />

gewesen, in welchem jedes ächte Kunstwerk, jeder unsterbliche Gedanke,<br />

den Lebensfunken erhielt. Alles Urdenken geschieht in Bildern.<br />

Aus Begriffen hingegen entspringen die Werke des bloßen Talents,<br />

die bloß vernünftigen Gedanken, die Nachahmungen und<br />

überhaupt alles auf das gegenwärtige Bedürfniß und die Zeitgenossenschaft<br />

allein Berechnete.<br />

Wäre nun aber unsere Anschauung stets an die reale Gegenwart der<br />

Dinge gebunden; so würde ihr Stoff gänzlich unter der Herrschaft des<br />

Zufalls stehn, welcher die Dinge selten zur rechten Zeit herbeibringt,<br />

selten zweckmäßig ordnet und meistens sie in sehr mangelhaften<br />

Exemplaren uns vorführt. Deshalb bedarf<br />

/449/<br />

es der Phantasie, um alle bedeutungsvollen Bilder des Lebens zu<br />

vervollständigen, zu ordnen, auszumalen, festzuhalten und beliebig<br />

zu wiederho len, je nachdem es die Zwecke einer tief eindringenden<br />

Erkenntniß und des bedeutungsvollen Werkes, dadurch sie mit-<br />

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