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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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ma in seiner primären Form, rückwirkend gleichsam, aus ihm abgeleitet<br />

wurde. Keine geringere Phantasie-<br />

/260/<br />

leistung, daß in den späteren Partien der weiträumigen Durchführung<br />

des ersten Satzes der Eroica, als wäre nun keine Zeit mehr zur differenzierenden<br />

Arbeit, zu lapidar harmonischen Perioden übergegangen<br />

wird. Mit dem steigenden Vorrang der Konstruktion mußte die<br />

Substantialität des Einzeleinfalls sich mindern. Wie sehr Arbeit und<br />

Phantasie ineinander sind – ihre Divergenz ist stets Index des Mißlingens<br />

–, dafür spricht die Erfahrung der Künstler, daß Phantasie sich<br />

kommandieren läßt. Sie empfinden die Willkür zum Unwillkürlichen<br />

als das, was vom Dilettantismus sie abhebt. Auch subjektiv- sind ästhetisch<br />

wie in der Erkenntnis Unmittelbarkeit und Mittelbares ihrerseits<br />

durch einander vermittelt. Kunst ist, nicht genetisch, aber ihrer<br />

Beschaffenheit nach, das drastischeste Argument gegen die erkenntnistheoretische<br />

Trennung von Sinnlichkeit und Verstand. Reflexion ist<br />

zur Phantasieleistung überaus fähig: das bestimmte Bewußtsein dessen,<br />

was ein Kunstwerk an einer Stelle braucht, zieht es herbei. Daß<br />

Bewußtsein töte, ist in der Kunst, die der Kronzeuge dafür sein soll,<br />

ein so albernes Cliché wie allerorten. Noch das Auflösende der Reflexion,<br />

ihr kritisches Moment, wird als Selbstbesinnung des Kunstwerks<br />

fruchtbar, die das Unzulängliche, Ungeformte, Unstimmige<br />

ausscheidet oder modifiziert. Umgekehrt hat die Kategorie des ästhetisch<br />

Dummen ihr fundamentum in re, den Mangel von Werken an<br />

immanenter Reflexion, etwa der auf den Stumpfsinn unfiltrierter Wiederholungen.<br />

Schlecht an den Kunstwerken ist Reflexion, die von<br />

außen sie steuert, ihnen Gewalt antut, aber wohin sie von sich aus<br />

wollen, dem ist subjektiv anders als durch Reflexion gar nicht zu folgen,<br />

und die Kraft dazu ist spontan. Involviert ein jegliches Kunstwerk<br />

einen – wahrscheinlich aporetischen – Problemzusammenhang, so<br />

entflösse daraus nicht die schlechteste Definition von Phantasie. Als<br />

Vermögen, im Kunstwerk Ansätze und Lösungen zu erfinden, darf sie<br />

das Differential von Freiheit inmitten der Determination heißen.<br />

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