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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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schauung, und dann vertrauet auf den verwandten, und heruntersieht<br />

auf den feindselig geschaffnen.<br />

Manchem göttlichen Gemüte wird vom Schicksal eine unförmliche<br />

Form aufgedrungen, wie dem Sokrates der Satyr-Leib; denn über die<br />

Form, nicht über den innern Stoff regiert die Zeit. So hing der poetische<br />

Spiegel, womit Jakob Böhme Himmel und Erde wiedergibt, in<br />

einem dunklen Orte; auch mangelt dem Glase an einigen Stellen die<br />

Folie. So ist der große Hamann ein tiefer Himmel voll teleskopischer<br />

Sterne, und manche Nebelflecken löset kein Auge auf.<br />

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Darum kamen manche reiche Werke dem Stilistiker, der nur nach<br />

Leibern gräbt und nicht Geister sucht, so arm vor, als die majestätischen<br />

hohen Schweizergebirge dem Bergknappen gegen tiefe Bergwerke<br />

erscheinen. Er sagt, er vermöge wenig oder nichts aus Werken<br />

dieser Art zu ziehen und zu exzerpieren; was so viel ist, als wenn er<br />

klagte, er könne mit und von der Freundschaft nichts weiter gewinnen<br />

als die Freundschaft selber. So kann es philosophische Werke geben,<br />

welche uns philosophischen Geist einhauchen, ohne in besondern<br />

philosophischen Paragraphen Stoff abzusetzen, z.B. einige von<br />

Hemsterhuis und Lessing. So kam über eben diesen besonnenen<br />

Lessing, welcher früher über poetische Gegenstände mehr dachte als<br />

sang, eigentlich nur in seinem Nathan und seinem Falk der dichterische<br />

Pfingstgeist, ein paar Gedichte, welche der gemeine Kritiker<br />

seinem Alter gern vergibt, an die Emilie Galotti sich haltend. Freilich<br />

die poetische Seele läßt sich, wie unsere, nur am ganzen Körper zeigen,<br />

aber nicht an einzelnen, obwohl von ihr belebten Fußzehen und<br />

Fingern, welche etwan ein Beispielsammler ausrisse und hinhielte mit<br />

den Worten: seht, wie regt sich das Spinnenbein!<br />

§ 15 Das geniale Ideal<br />

Wenn es der gewöhnliche Mensch gut meint mit seinen Gefühlen, so<br />

knüpfet er – wie sonst jeder Christ es tat – das feiste Leben geradezu<br />

einem zweiten ätherischen nach dem Tode glaubend an, welches<br />

eben zu jenem wie Geist zu Körper passet, nur aber so wenig durch<br />

vorherbestimmte Harmonie, Einfluß, Gelegenheit mit ihm verbunden<br />

ist, daß anfangs der Leib allein erscheint und waltet, hinterher der<br />

Geist. Je weiter ein Wesen vom Mittelpunkte absteht, desto breiter<br />

laufen ihm dessen Radien auseinander; und ein dumpfer hohler Polype<br />

müßte, wenn er sich ausspräche, mehr Widersprüche in der<br />

Schöpfung finden als alle Seefahrer.<br />

Und so findet man denn bei dem Volke innere und äußere Welt, Zeit<br />

und Ewigkeit als sittliche oder christliche Antithese bei dem Philosophen<br />

als fortgesetzten Gegensatz, nur mit wechselnder<br />

/66/<br />

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