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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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Nachbesserung ist, um sie dem Gedanken angemessen und doch<br />

der Freiheit im Spiele derselben nicht nachteilig werden zu lassen.<br />

Geschmack ist aber bloß ein Beurteilungs-, nicht ein produktives Vermögen;<br />

und, was ihm gemäß ist, ist darum eben nicht ein Werk der<br />

schönen Kunst: es kann ein zur nützlichen und mechanischen Kunst,<br />

oder gar zur Wissenschaft gehöriges Produkt nach bestimmten<br />

Regeln sein, die gelernt werden können und genau befolgt werden<br />

müssen. Die gefällige Form aber, die man ihm gibt, ist nur das<br />

Vehikel der Mitteilung und eine Manier gleichsam des Vor-<br />

/249/<br />

trages, in Ansehung dessen man noch in gewissem Maße frei bleibt,<br />

wenn er doch übrigens an einen bestimmten Zweck gebunden ist. So<br />

verlangt man, daß das Tischgeräte, oder auch eine moralische Abhandlung,<br />

sogar eine Predigt diese Form der schönen Kunst, ohne<br />

doch gesucht zu scheinen, an sich haben müsse; man wird sie aber<br />

darum nicht Werke der schönen Kunst nennen. Zu der letzteren aber<br />

wird ein Gedicht, eine Musik, eine Bildergalerie u.d.gl. gezählt; und<br />

da kann man an einem seinsollenden Werke der schönen Kunst oftmals<br />

Genie ohne Geschmack, an einem andern Geschmack ohne<br />

Genie, wahrnehmen.<br />

§ 49. Von den Vermögen des Gemüts, welche das Genie ausmachen<br />

Man sagt von gewissen Produkten, von welchen man erwartet, daß<br />

sie sich, zum Teil wenigstens, als schöne Kunst zeigen sollten: sie<br />

sind ohne Geist; ob man gleich an ihnen, was den Geschmack betrifft,<br />

nichts zu tadeln findet. Ein Gedicht kann recht nett und elegant<br />

sein, aber es ist ohne Geist. Eine Geschichte ist genau und ordentlich,<br />

aber ohne Geist. Eine feierliche Rede ist gründlich und zugleich<br />

zierlich, aber ohne Geist. Manche Konversation ist nicht ohne Unterhaltung,<br />

aber doch ohne Geist; selbst von einem Frauenzimmer sagt<br />

man wohl, sie ist hübsch, gesprächig und artig, aber ohne Geist. Was<br />

ist denn das, was man hier unter Geist versteht?<br />

Geist, in ästhetischer Bedeutung, heißt das belebende Prinzip im<br />

Gemüte. Dasjenige aber, wodurch dieses Prinzip die Seele belebt,<br />

der Stoff, den es dazu anwendet, ist das, was die Gemütskräfte<br />

zweckmäßig in Schwung versetzt, d.i. in ein solches Spiel, welches<br />

sich von selbst erhält und selbst die Kräfte dazu stärkt.<br />

Nun behaupte ich, dieses Prinzip sei nichts anders, als das Vermögen<br />

der Darstellung ästhetischer Ideen; unter einer ästhetischen Idee<br />

aber verstehe ich diejenige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel<br />

zu denken veranlaßt,<br />

/250/<br />

ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d.i. Begriff adäquat<br />

sein kann, die folglich keine Sprache völlig erreicht und ver-<br />

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