Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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einigt, sondern nur bis zu einer Höhe gesteigert ist, bei welcher er in<br />
der Anschauung unwillkürlich sich aufhebt, welches dann ebensoviel<br />
ist, als ob er im Objekt aufgehoben wäre. 31 Es läßt sich auch sehr<br />
leicht zeigen, daß die Erhabenheit auf demselben Widerspruch beruht,<br />
auf welchem auch die Schönheit beruht, indem immer, wenn ein<br />
Objekt erhaben genannt wird, durch die bewußtlose Tätigkeit eine<br />
Größe aufgenommen wird, welche in die bewußte aufzunehmen unmöglich<br />
ist, wodurch denn das Ich mit sich selbst in einen Streit versetzt<br />
wird, welcher nur in einer ästhetischen Anschauung enden<br />
kann, welche beide Tätigkeiten in unerwartete Harmonie setzt, nur<br />
daß die Anschauung, welche hier nicht im Künstler, sondern im anschauenden<br />
Subjekt selbst liegt, völlig unwillkürlich ist, indem das<br />
Erhabene (ganz anders als das bloß Abenteuerliche, was der Einbildungskraft<br />
gleichfalls einen Widerspruch vorhält, welchen aber aufzulösen<br />
nicht der Mühe wert ist) alle Kräfte des Gemüts in Bewegung<br />
setzt, um den die ganze intellektuelle Existenz bedrohenden Widerspruch<br />
aufzulösen.<br />
Nachdem nun die Charaktere des Kunstwerks abgeleitet sind, so ist<br />
zugleich auch der Unterschied desselben von allen andern Produkten<br />
ins Licht gesetzt.<br />
Denn vom organischen Naturprodukt unterscheidet sich das Kunstprodukt<br />
hauptsächlich dadurch, [a) daß das organische Wesen noch<br />
ungetrennt darstellt, was die ästhetische Produktion nach der Trennung,<br />
aber vereinigt darstellt; b)] daß die organische Produktion nicht<br />
vom Bewußtsein, also auch nicht von dem unendlichen<br />
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Widerspruch ausgeht, welcher Bedingung der ästhetischen Produktion<br />
ist. Das organische Naturprodukt wird also, [wenn Schönheit<br />
durchaus Auflösung eines unendlichen Widerstreits], auch nicht notwendig<br />
schön sein, und wenn es schön ist, so wird die Schönheit,<br />
weil ihre Bedingung in der Natur nicht als existierend gedacht werden<br />
kann, als schlechthin zufällig erscheinen, woraus sich das ganz eigentümliche<br />
Interesse an der Naturschönheit, nicht insofern sie<br />
Schönheit überhaupt, sondern insofern sie bestimmt Naturschönheit<br />
ist, erklären läßt. Es erhellt daraus von selbst, was von der Nachahmung<br />
der Natur als Prinzip der Kunst zu halten sei, da, weit entfernt,<br />
daß die bloß zufällig schöne Natur der Kunst die Regel gebe, vielmehr,<br />
was die Kunst in ihrer Vollkommenheit hervorbringt, Prinzip<br />
und Norm für die Beurteilung der Naturschönheit ist.<br />
Wodurch sich das ästhetische Produkt vom gemeinen Kunstprodukt<br />
unterscheide, ist leicht zu beurteilen, da alle ästhetische Hervorbringung<br />
in ihrem Prinzip eine absolut freie ist, indem der Künstler zu<br />
31 Statt des letzten Passus im Handexemplar: Denn ob es gleich erhabene<br />
Kunstwerke gibt, und die Erhabenheit der Schönheit entgegengesetzt zu<br />
werden pflegt, so ist kein wahrer, objektiver Gegensatz zwischen Schönheit<br />
und Erhabenheit; das wahrhaft und absolut Schöne ist immer auch<br />
erhaben, das Erhabene (wenn dies wahrhaft) ist auch schön.<br />
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