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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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sung und Ausführung die größte Breite äußerlicher Seiten darbieten.<br />

Eine eigentümliche, dem besonderen Künstler und dessen Nachfolgern<br />

und Schülern angehörige und durch häufige Wiederholung bis<br />

zur Gewohnheit ausgebildete Darstellungsweise macht hier die Manier<br />

aus, welche sich nach zwei Seiten hin zu er-gehen die Gelegenheit<br />

hat.<br />

αα) Die erste Seite betrifft die Auffassung. Der Ton der Luft z. B., der<br />

Baumschlag, die Verteilung des Lichts und Schattens, der ganze Ton<br />

der Färbung überhaupt läßt in der Malerei eine unendliche Mannigfaltigkeit<br />

zu. Besonders in der Art der Färbung und Beleuchtung finden<br />

wir deshalb auch bei den Malern die größte Verschiedenheit und eigentümlichste<br />

Auffassungsweise. Dies kann etwa auch ein Farbton<br />

sein, den wir im allgemeinen in der Natur nicht wahrnehmen, weil wir<br />

unsere Aufmerksamkeit, obschon er vorkommt, nicht darauf gerichtet<br />

haben. Diesem oder jenem Künstler aber ist er aufgefallen, er hat ihn<br />

sich angeeignet und ist nun alles in dieser Art der Färbung und Beleuchtung<br />

zu sehen und wiederzugeben gewohnt geworden. Wie mit<br />

der Fär-<br />

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bung kann es ihm dann auch mit den Gegenständen selber, ihrer<br />

Gruppierung, Stellung, Bewegung gehen. Bei de n Niederländern<br />

hauptsächlich treffen wir diese Seite der Manier häufig an; van der<br />

Neers Nachtstücke z. B. und sei ne Behandlung des Mondlichts, van<br />

der Goyens Sandhügel in so vielen seiner Landschaften, der immer<br />

wiederkehrende Glanz des Atlas und anderer Seidenstoffe auf so<br />

vielen Bildern anderer Meister gehören in diese Kategorie.<br />

ββ) Weiter sodann erstreckt die Manier sich auf die Exekution, auf die<br />

Führung des Pinsels, den Auftrag, die Verschmelzung der Farben<br />

usw.<br />

yy) Indem nun aber solch eine spezifische Art der Auffassung und<br />

Darstellung durch die stets sich erneuernde Wiederkehr zur Gewohnheit<br />

verallgemeinert und dem Künstler zur anderen Natur wird,<br />

liegt die Gefahr nahe, daß die Manier, je spezieller sie ist, um so<br />

leichter zu einer seelenlosen und dadurch kahlen Wiederholung und<br />

Fabrikation ausartet, bei welcher der Künstler nicht mehr mit vollem<br />

Sinn und ganzer Begeisterung dabei ist. Dann sinkt die Kunst zu einer<br />

bloßen Handgeschicklichkeit und Handwerksfertigkeit herunter,<br />

und die an sich selbst nicht verwerfliche Manier kann zu etwas Nüchternem<br />

und Leblosem werden.<br />

y) Die echtere Manier hat sich deshalb dieser beschränkten Besonderheit<br />

zu entheben und in sich selbst so zu erweitern, daß dergleichen<br />

spezielle Behandlungsarten sich ni cht zu einer bloßen Gewohnheitssache<br />

abtöten können, indem sich der Künstler in allgemeinerer<br />

Weise an die Natur der Sache hält und sich diese allgemeinere<br />

Behandlungsart, wie deren Begriff es mit sich führt, zu eigen zu<br />

machen versteht. In diesem Sinne kann man es z. B. bei Goethe Manier<br />

nennen, daß er nicht nur gesellschaftliche Gedichte, sondern<br />

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