Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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Verwandtschaft desselben mit andern ausdrücken, Attribute (ästhetische)<br />
eines Gegenstandes, dessen Begriff, als Vernunftidee, nicht<br />
adäquat dargestellt werden kann. So ist der Adler Jupiters mit dem<br />
Blitze in den Klauen, ein Attribut des mächtigen Himmelskönigs, und<br />
der Pfau der prächtigen Himmelskönigin. Sie stellen nicht, wie die<br />
logischen Attribute, das was in unsern Begriffen von der Erhabenheit<br />
und Majestät der Schöpfung liegt, sondern etwas anderes vor, was<br />
der Einbildungskraft Anlaß gibt, sich über eine Menge von verwandten<br />
Vorstellungen zu verbreiten, die mehr denken lassen, als man in<br />
einem durch Worte bestimmten Begriff ausdrücken kann; und geben<br />
eine ästhetische Idee, die jener Vernunftidee statt logischer Darstellung<br />
dient, eigentlich aber um das Gemüt zu beleben, indem sie ihm<br />
die Aussicht in ein unabsehliches Feld verwandter Vorstellungen<br />
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eröffnet. Die schöne Kunst aber tut dieses nicht allein in der Malerei<br />
oder Bildhauerkunst (wo der Namen der Attribute gewöhnlich gebraucht<br />
wird); sondern die Dichtkunst und Beredsamkeit nehmen den<br />
Geist, der ihre Werke belebt, auch lediglich von den ästhetischen<br />
Attributen der Gegenstände her, welche den logischen zur Seite gehen,<br />
und der Einbildungskraft einen Schwung geben, mehr dabei,<br />
obzwar auf unentwickelte Art, zu denken, als sich in einem Begriffe,<br />
mithin in einem bestimmten Sprachausdrucke, zusammenfassen läßt.<br />
– Ich muß mich der Kürze wegen nur auf wenige Beispiele einschränken.<br />
Wenn der Große König sich In einem seiner Gedichte so ausdrückt:<br />
»Laßt uns aus dem Leben ohne Murren weichen und ohne etwas zu<br />
bedauern, indem wir die Welt noch alsdann mit Wohltaten überhäuft<br />
zurücklassen. So verbreitet die Sonne, nachdem sie ihren Tageslauf<br />
vollendet hat, noch ein mildes Licht am Himmel; und die letzten<br />
Strahlen, die sie in die Lüfte schickt, sind ihre letzten Seufzer für das<br />
Wohl der Welt«: so belebt er seine Vernunftidee, von weltbürgerlicher<br />
Gesinnung noch am Ende des Lebens, durch ein Attribut, welches<br />
die Einbildungskraft (in der Erinnerung an alle Annehmlichkeiten eines<br />
vollbrachten schönen Sommertages, die uns ein heiterer Abend<br />
ins Gemüt ruft) jener Vorstellung beigesellt, und welches eine Menge<br />
von Empfindungen und Nebenvorstellungen rege macht, für die sich<br />
kein Ausdruck findet. Andererseits kann sogar ein intellektueller Begriff<br />
umgekehrt zum Attribut einer Vorstellung der Sinne dienen, und<br />
so diese letztern durch die Idee des Übersinnlichen beleben; aber<br />
nur, indem das ästhetische, was dem Bewußtsein des letztern subjektiv<br />
anhänglich ist, hiezu gebraucht wird. So sagt z.B. ein gewisser<br />
Dichter in der Beschreibung eines schönen Morgens: »Die Sonne<br />
quoll hervor, wie Ruh aus Tugend quillt«. Das Bewußtsein der Tugend,<br />
wenn man sich auch nur in Gedanken in die Stelle eines Tugendhaften<br />
versetzt, verbreitet im Gemüte eine Menge erhabener<br />
und beruhigender Gefühle, und eine grenzenlose Aussicht in eine<br />
frohe Zu-<br />
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