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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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nem Werk außer dem, was er mit offenbarer Absicht darein gelegt<br />

hat, instinktmäßig gleichsam eine Unendlichkeit dargestellt zu haben,<br />

welche ganz zu entwickeln kein endlicher Verstand fähig ist. Um uns<br />

nur durch Ein Beispiel deutlich zu machen, so ist die griechische Mythologie,<br />

von der es unleugbar ist, daß sie einen unendlichen Sinn<br />

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und Symbole für alle Ideen in sich schließt, unter einem Volk und auf<br />

eine Weise entstanden, welche beide eine durchgängige Absichtlichkeit<br />

in der Erfindung und in der Harmonie, mit der alles zu Einem<br />

großen Ganzen vereinigt ist, unmöglich annehmen lassen. So ist es<br />

mit jedem wahren Kunstwerk, indem jedes, als ob eine Unendlichkeit<br />

von Absichten darin wäre, einer unendlichen Auslegung fähig ist, wobei<br />

man doch nie sagen kann, ob diese Unendlichkeit im Künstler<br />

selbst gelegen habe, oder aber bloß im Kunstwerk liege. Dagegen in<br />

dem Produkt, welches den Charakter des Kunstwerks nur heuchelt,<br />

Absicht und Regel an der Oberfläche liegen und so beschränkt und<br />

umgrenzt erscheinen, daß das Produkt nichts anderes als der getreue<br />

Abdruck der bewußten Tätigkeit des Künstlers und durchaus<br />

nur ein Objekt für die Reflexion, nicht aber für die Anschauung ist,<br />

welche im Angeschauten sich zu vertiefen liebt, und nur auf dem Unendlichen<br />

zu ruhen vermag.<br />

b) Jede ästhetische Produktion geht aus vom Gefühl eines unendlichen<br />

Widerspruchs, also muß auch das Gefühl, was die Vollendung<br />

des Kunstprodukts begleitet, das Gefühl einer solchen Befriedigung<br />

sein, und dieses Gefühl muß auch wiederum in das Kunstwerk selbst<br />

übergehen. Der äußere Ausdruck des Kunstwerks ist also der Ausdruck<br />

der Ruhe und der stillen Größe, selbst da, wo die höchste<br />

Spannung des Schmerzes oder der Freude ausgedrückt werden soll.<br />

c) Jede ästhetische Produktion geht aus von einer an sich unendlichen<br />

Trennung der beiden Tätigkeiten, welche in jedem freien Produzieren<br />

getrennt sind. Da nun aber diese beiden Tätigkeiten im Produkt<br />

als vereinigt dargestellt werden sollen, so wird durch dasselbe<br />

ein Unendliches endlich dargestellt. Aber das Unendliche endlich<br />

dargestellt ist Schönheit. Der Grundcharakter jedes Kunstwerks, welcher<br />

die beiden vorhergehenden in sich begreift, ist also die Schönheit,<br />

und ohne Schönheit ist kein Kunstwerk. Denn ob es gleich erhabene<br />

Kunstwerke gibt, und Schönheit und Erhabenheit in gewisser<br />

Rücksicht sich entgegengesetzt sind, indem eine Naturszene z.B.<br />

schön sein kann, ohne deshalb erhaben zu sein, und umgekehrt, so<br />

ist doch der Gegensatz zwischen Schönheit und Erhabenheit ein solcher,<br />

/295/<br />

der nur in Ansehung des Objekts, nicht aber in Ansehung des Subjekts<br />

der Anschauung stattfindet, indem der Unterschied des schönen<br />

und erhabenen Kunstwerks nur darauf beruht, daß, wo Schönheit ist,<br />

der unendliche Widerspruch im Objekt selbst aufgehoben ist, anstatt<br />

daß, wo Erhabenheit ist, der Widerspruch nicht im Objekt selbst ver-<br />

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