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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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raonen suchte. Es geht um die Subjektivität des Seins, deren Tiefe<br />

schwindelerregend ist.<br />

Nur entleerte Pracht übt heute noch eine flüchtige Faszination aus.<br />

Die Suche nach der Subjektivität hat sich zunächst in Richtung auf<br />

die Religion verlagert. Doch dann haben die offiziellen Religionen ihre<br />

einstmals ausschließliche Anziehungskraft verloren. Die Kunst und<br />

die Literatur haben dann jene Dimension, das subjektive Leben und<br />

den Tod des Menschen, ausdrücken wollen und haben oftmals die<br />

Kraft gehabt, sie auszudrücken.<br />

Grundsätzlich entgleitet uns dieses Leben. Es macht das menschliche,<br />

dem tierischen entgegengesetzte Leben aus. Aber die Aufmerksamkeit<br />

kann sich deutlich nur auf die Objekte der Arbeitswelt<br />

richten oder zumindest auf Dinge, die ihnen in einer Hinsicht gleichen.<br />

Unser inneres Leben entgleitet uns, sofern wir es nicht auf der<br />

Ebene aller übrigen Gegenstände objektiv vor uns s hinstellen können.<br />

So hat die Menge sich seit Urzeiten spektakuläre Individuen<br />

erwählt, die ihr stellvertretend vorlebten, was sie selbst unmittelbar<br />

nicht leben konnte, sondern nur im Blick auf diese souveränen Individuen<br />

(in gleicher Weise wurde der Tod nur im Schauspiel des Opfers<br />

erfahren und gewürdigt). Aus den gleichen Gründen erfahren wir heute<br />

die Intensität des inneren Lebens nur vermittels der Betrachtung<br />

von Dingen, wie z. B. von Kunstwerken, die für uns letztlich die Rolle<br />

spielen, die einst die Könige spielten.<br />

2. Der Auftrag der »sakralen« Kunst und Literatur, die Souveränität<br />

zu verobjektivieren<br />

In der archaischen, ganz von der Souveränität beherrschten Gesellschaft<br />

konnten der Künstler und Schriftsteller durch das Kunstwerk<br />

allein keine Souveränität erlangen. Literatur und Kunst waren<br />

der souveränen Realität nachgeordnet, deren Wahrheit sie zur Schau<br />

stellten. Die Kunst war insbesondere Ausdruck der Subjektivität der<br />

souveränen Personen, die nicht arbeiteten und grundsätzlich keine<br />

Tätigkeit ausüben konnten, die sie irgendwelchen Zwecken untergeordnet<br />

hätte. Noch die griechische Tragödie, die ausdrücklich die<br />

Subjektivität der Menschen zum Gegenstand hat, thematisiert immer<br />

die Subjektivität traditionell souveräner Personen; so hielt die antike<br />

Demokratie an den traditionellen<br />

/75/<br />

Werten fest, denen sie in der Person des Königs längst abgeschworen<br />

hatte. Vor der Entstehung einer profanen Kunst, in der ar-<br />

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