Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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derselben zwar durch einen Widerspruch, aber nur durch einen solchen,<br />
der in dem Höchsten seiner eignen Natur liegt, getrieben werden<br />
kann, anstatt daß jede andere Hervorbringung durch einen Widerspruch<br />
veranlaßt wird, der außer dem eigentlich Produzierenden<br />
liegt, und also auch jede einen Zweck außer sich hat. 32 Aus jener<br />
Unabhängigkeit von äußern Zwecken entspringt jene Heiligkeit und<br />
Reinheit der Kunst, welche so weit geht, daß sie nicht etwa nur die<br />
Verwandtschaft mit allem, was bloß Sinnenvergnügen ist, welches<br />
von der Kunst zu verlangen der eigentliche Charakter der Barbarei<br />
ist, oder mit dem Nützlichen, welches von der Kunst zu fordern nur<br />
einem Zeitalter möglich ist, das die höchsten Efforts des menschlichen<br />
Geistes in ökonomische Erfindungen setzt31, sondern selbst<br />
die Verwandtschaft mit allem, was zur Moralität gehört, ausschlägt,<br />
ja selbst die Wissenschaft, welche in Ansehung ihrer Uneigennützigkeit<br />
am nächsten an die Kunst grenzt, bloß darum, weil sie immer auf<br />
einen Zweck außer sich<br />
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geht, und zuletzt selbst nur als Mittel für das Höchste (die Kunst) dienen<br />
muß, weit unter sich zurückläßt.<br />
Was insbesondere das Verhältnis der Kunst zur Wissenschaft betrifft,<br />
so sind sie beide in ihrer Tendenz so sehr entgegengesetzt, daß,<br />
wenn die Wissenschaft je ihre ganze Aufgabe gelöst hätte, wie sie<br />
die Kunst immer gelöst hat, beide in Eines zusammenfallen und<br />
übergehen müßten, welches der Beweis völlig entgegengesetzter<br />
Richtungen ist. Denn obgleich die Wissenschaft in ihrer höchsten<br />
Funktion mit der Kunst eine und dieselbe Aufgabe hat, so ist doch<br />
diese Aufgabe, wegen der Art sie zu lösen, für die Wissenschaft eine<br />
unendliche, so, daß man sagen kann, die Kunst sei das Vorbild der<br />
Wissenschaft, und wo die Kunst sei, soll die Wissenschaft erst hinkommen.<br />
Es läßt sich eben daraus auch erklären, warum und inwiefern<br />
es in Wissenschaften kein Genie gibt, nicht etwa, als ob es unmöglich<br />
wäre, daß eine wissenschaftliche Aufgabe genialisch gelöst<br />
werde, sondern weil dieselbe Aufgabe, deren Auflösung durch Genie<br />
gefunden werden kann, auch mechanisch auflösbar ist, dergleichen<br />
z.B. das Newtonische Gravitationssystem ist, welches eine genialische<br />
Erfin dung sein konnte, und in seinem ersten Erfinder Kepler<br />
wirklich war, aber ebensogut auch eine ganz szientifische Erfindung<br />
sein konnte, was es auch durch Newton geworden ist. Nur das, was<br />
die Kunst hervorbringt, ist allein und nur durch Genie möglich, weil in<br />
jeder Aufgabe, welche die Kunst aufgelöst hat, ein unendlicher Widerspruch<br />
vereinigt ist. Was die Wissenschaft hervorbringt, kann<br />
durch Genie hervorgebracht sein, aber es ist nicht notwendig dadurch<br />
hervorgebracht. Es ist und bleibt daher in Wissenschaften problematisch,<br />
d.h. man kann wohl immer bestimmt sagen, wo es nicht ist,<br />
aber nie, wo es ist. Es gibt nur wenige Merkmale, aus welchen in<br />
Wissenschaften sich auf Genie schließen läßt; (daß man darauf<br />
32 (absoluten Übergang ins Objektive).<br />
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