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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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che sie umso beredter von der spezifischen Figuration einer<br />

systemischen Macht.<br />

Der Zwang zur Kommunikation nämlich scheint unter den heutigen<br />

Bedingungen technologischer Kulturen derart unabweisbar<br />

geworden zu sein, daß er sich noch einem Gespräch<br />

wie dem unseren programmatisch aufprägt und aufprägen muß:<br />

als Communicandum est. Das Communicandum ist der Imperativ,<br />

von dessen Befolgung es abhängt, ob etwas erscheinen<br />

kann oder nicht. Und das heißt: wenn etwas besteht, so besteht<br />

es allein in den Techniken und Technologien der Kommunikation.<br />

In dieser Situation zeichnet sich ab, was ich Ihnen und mir<br />

zunächst als Frage nach der Kommunikation vorzulegen gedenke;<br />

sodann aber auch in einer Meditation über jenen Rat,<br />

den uns Jean-François Lyotard erteilte, ich zitiere: "für eine Arbeit<br />

an der Nicht-Kommunizierbarkeit, der Nicht-Mitteilbarkeit zu<br />

kämpfen, nämlich für die Artikulation von möglichen neuen Sätzen.<br />

Dieser Kampf", so fuhr Lyotard dann fort, "wird hauptsächlich<br />

von den Künstlern geführt. Denn in der Kunst geht es vor<br />

allem darum, Werke hervorzubringen, in denen die das Werk<br />

als solches konstituierenden Regeln selbst noch einmal hinterfragt<br />

werden. Dazu ist keine Theorie nötig; ja ich möchte sogar<br />

sagen, es ist nötig, keine Theorie zu haben." 52<br />

Empfehlungen wie diese entlassen uns allerdings in unabsehbare<br />

Paradoxien. Sie verstoßen in eine Grundlosigkeit, in<br />

der wir uns nicht aufhalten können. Denn sie legen die Idee<br />

nahe, daß die Bewegung der Kunst nicht etwa in der Befolgung<br />

von Regeln besteht, sondern darin, die Regelhaftigkeit möglicher<br />

Regeln zu befragen und sie in Figuren einer abgründigen<br />

Frage selbst zu generieren. Sie situieren die Kunst also am Ort<br />

einer Genese, an dem es keinen Sinn mehr macht, etwa zwischen<br />

einer Aussage und ihrer Regel, und schon gar nicht, zwischen<br />

dem Rationalen und dem Irrationalen, zwischen dem<br />

Verfügbaren und dem Unverfügbaren, zwischen dem Lehrbaren<br />

und dem Genialischen zu unterscheiden. Anders gesagt, lassen<br />

diese Sätze eine Entgründung sich wiederholen, die jede Rede<br />

von einem "Grund" obsolet werden läßt - und zwar unabhängig<br />

davon, ob er sich dann in der "Grundlehre", der "Grundlage"<br />

oder der "Grundfrage" zu setzen versucht.<br />

Hier ist nicht die Zeit, das metaphorische Feld genauer zu analysieren,<br />

das durch diese Rede vom Grund eröffnet wird. Aber<br />

vielleicht ist doch der Hinweis am Platz, daß sich eine solche<br />

Analyse mit Fragen des Territoriums ebenso zu beschäftigen<br />

hätte wie mit denen einer gewissen Architektonik und eines<br />

52 Jean-François Lyotard, Regeln und Paradoxa, in: ders., Philosophie und<br />

Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin 1986, S.105<br />

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