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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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G.W.F. Hegel: Vorlesung über Ästhetik I<br />

In: Theorie Werkausgabe Bd. 13, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970,<br />

S.362-385<br />

/362/<br />

C. DER KÜNSTLER<br />

Wir haben in diesem ersten Teile zunächst die allgemeine Idee des<br />

Schönen, sodann das mangelhafte Dasein derselben in der Schönheit<br />

der Natur betrachtet, um drittens zum Ideal als der adäquaten<br />

Wirklichkeit des Schönen hindurchzudringen. Das Ideal entwickelten<br />

wir erstens selbst wieder seinem allgemeinen Begriff nach, der uns<br />

zweitens jedoch auf die bestimmte Darstellungsweise desselben führte.<br />

Indem nun aber das Kunstwerk aus dem Geiste entspringt, so<br />

bedarf es einer produzierenden subjektiven Tätigkeit, aus welcher es<br />

hervorgeht und als Produkt derselben für anderes, für die Anschauung<br />

und die Empfindung des Publikums ist. Diese Tätigkeit ist die<br />

Phantasie des Künstlers. Wir haben deshalb als dritte Seite des Ideals<br />

jetzt zum Schluß noch zu besprechen, wie das Kunstwerk dem<br />

subjektiven Inneren angehört, als dessen Erzeugnis es noch nicht zur<br />

Wirklichkeit herausgeboren ist, sondern sich erst in der schöpferischere<br />

Subjektivität, im Genie und Talent des Künstlers gestaltet.<br />

Doch brauchen wir eigentlich eher dieser Seite nur deshalb zu erwähnen,<br />

um von ihr zu sagen, daß sie aus dem Kreise philosophischer<br />

Betrachtung auszuschließen sei oder doch nur wenige allgemeine<br />

Bestimmungen liefere, obschon es eine häufig aufgeworfene<br />

Frage ist, wo denn der Künstler diese Gabe und Fähigkeit der Konzeption<br />

und Ausführung hernehme, wie er das Kunstwerk mache.<br />

Man möchte gleichsam ein Rezept, eine Vorschrift dafür haben, wie<br />

man es anstellen, in welche Umstände und Zustände man sich versetzen<br />

müsse, um Ähnliches hervorzubringen. So befragte der<br />

/363/<br />

Kardinal von Este Ariosto über seinen Rasenden Roland: »Meister<br />

Ludwig, wo habt ihr all das verdammte Zeug her?« Raffael, ähnlich<br />

befragt, antwortete in einem bekannten Briefe, er strebe einer gewissen<br />

Idea nach.<br />

Die näheren Beziehungen können wir nach drei Gesichtspunkten<br />

betrachten, indem wir<br />

erstens den Begriff des künstlerischen Genies und der Begeisterung<br />

feststellen,<br />

zweitens von der Objektivität dieser schaffenden Tätigkeit sprechen<br />

und<br />

drittens den Charakter der wahren Originalität zu ermitteln suchen.<br />

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