Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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auch davon zu machen, der vor der Urteilskraft bestehen kann.<br />
Wenn aber jemand sogar in Sa chen der sorgfältigsten Ver-<br />
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nunftuntersuchung wie ein Genie spricht und entscheidet, so ist es<br />
vollends lächerlich; man weiß nicht recht, ob man mehr über den<br />
Gaukler, der um sich so viel Dunst verbreitet, wobei man nichts deutlich<br />
beurteilen, aber desto mehr sich einbilden kann, oder mehr über<br />
das Publikum lachen soll, welches sich treuherzig einbildet, daß sein<br />
Unvermögen, das Meisterstück der Einsicht deutlich erkennen und<br />
fassen zu können, daher komme, weil ihm neue Wahrheiten in ganzen<br />
Massen zugeworfen werden, wogegen ihm das Detail (durch<br />
abgemessene Erklärungen und schulgerechte Prüfung der Grundsätze)<br />
nur Stümperwerk zu sein scheint.<br />
§ 48. Vom Verhältnisse des Genies zum Geschmack<br />
Zur Beurteilung schöner Gegenstände, als solcher, wird Geschmack,<br />
zur schönen Kunst selbst aber, d.i. der Hervorbringung solcher Gegenstände,<br />
wird Genie erfordert.<br />
Wenn man das Genie als Talent zur schönen Kunst betrachtet (welches<br />
die eigentümliche Bedeutung des Worts mit sich bringt), und es<br />
in dieser Absicht in die Vermögen zergliedern will, die ein solches<br />
Talent auszumachen zusammen kommen müssen: so ist nötig, zuvor<br />
den Unterschied zwischen der Natur schönheit, deren Beurteilung nur<br />
Geschmack, und der Kunstschönheit, deren Möglichkeit (worauf in<br />
der Beurteilung eines dergleichen Gegenstandes auch Rücksicht<br />
genommen werden muß) Genie erfordert, genau zu bestimmen.<br />
Eine Naturschönheit ist ein schönes Ding; die Kunstschönheit ist eine<br />
schöne Vorstellung von einem Dinge.<br />
Um eine Naturschönheit als eine solche zu beurteilen, brauche ich<br />
nicht vorher einen Begriff davon zu haben, was der Gegenstand für<br />
ein Ding sein solle; d.i. ich habe nicht nötig, die materiale Zweckmäßigkeit<br />
(den Zweck) zu kennen, sondern die bloße Form ohne Kenntnis<br />
des Zwecks gefällt in der Beurteilung für sich selbst. Wenn aber<br />
der Ge-<br />
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genstand für ein Produkt der Kunst gegeben ist, und als solches für<br />
schön erklärt werden soll: so muß, weil Kunst immer einen Zweck in<br />
der Ursache (und deren Kausalität) voraussetzt, zuerst ein Begriff<br />
von dem zum Grunde gelegt werden, was das Ding sein soll; und, da<br />
die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in einem Dinge, zu einer<br />
innern Bestimmung desselben als Zweck, die Vollkommenheit des<br />
Dinges ist, so wird in der Beurteilung der Kunstschönheit zugleich die<br />
Vollkommenheit des Dinges in Anschlag gebracht werden müssen,<br />
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