Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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eliebigen Wesen geliehen wird, erscheinen kann: ihre Subjektivität<br />
ist sich selbst nicht darüber im klaren, wieviel sie bedeutet, nämlich<br />
alles.<br />
In der Epoche der Kunst, von der ich spreche (wobei die romantische<br />
Kunst vielleicht eine Ausnahme bildet, aber ihr haftet noch die Ungeschicklichkeit<br />
an, die über die eigene Kühnheit erstaunt ist und sie<br />
eitel hervorkehrt), verharrte der Künstler im Schoß der gedemütigten<br />
Gesellschaft und stand wie jedermann im Banne der traditionellen<br />
souveränen Welt. Er stand nicht mehr im Dienste der Inkarnationen<br />
dieser Welt wie sein Vorgänger in der Epoche der sakralen Kunst<br />
(man denke etwa an die anonymen Bildner des Mittelalters), nichtsdestoweniger<br />
war er wie jedermann auf der Suche nach jener Würde,<br />
die die Nähe zu den Großen und zum Thron verlieh. Die Vorstellung,<br />
die er sich von seiner eigenen Subjektivität machte, hatte nichts von<br />
Souveränität: die Redlichkeit, an die er sich hielt, ließ das nicht zu.<br />
Seine Stellung bei Hofe und nicht sein Eigenwert gaben ihm das Anrecht<br />
auf<br />
/79/<br />
Teilhabe am Glanz der Hoheit, die er mit jener gespielten Bescheidenheit<br />
ersehnte, die der Kern der Bescheidenheit ist. Er nahm<br />
mit der Rolle des Dekorateurs vorlieb, und die Kunst war bloßes Ornament.<br />
6. Die souveräne Kunst<br />
Die Souveräne ihrerseits bemerkten diesen Irrtum des Künstlers über<br />
sich selbst, doch ohne dem sonderliche Beachtung zu schenken. Sie<br />
gewannen die Künstler für ihren Hof, und es blieb nicht aus, daß sie<br />
ein Kunstwerk in dem Glanz wahrnahmen, der ihre Souveränität<br />
ausmachte. Ohne den Effekt der Kunst hätten die Souveräne den<br />
Glanz ihrer Subjektivität nicht mitteilen können. Denn der Glanz des<br />
Königs war reiner Schein, und der Schein fiel unter die Zuständigkeit<br />
der ihn umgebenden Architekten, Maler, Musiker, Literaten. In dem<br />
Maße nämlich, als diese Künstler die Fähigkeit hatten, der strahlenden<br />
Subjektivität in Zeichen Ausdruck zu verleihen, überstrahlte der<br />
König alle anderen. Er gewann sie also für seine Intimität, denn die<br />
Kunst näherte sie in seinen Augen seinem eigenen Wesen an. Der<br />
Künstler selbst konnte nicht weniger unaufmerksam sein als der König.<br />
Er sah die Hoheit nicht in sich selbst, sondern in seinen Werken<br />
oder in der königlichen Erscheinung. Niemals war die Rede von der<br />
eigentlichen Subjektivität des Menschen, die dem Künstler insofern<br />
zukam, als er die Macht hatte, sie mitzuteilen, und die sich nur zufällig,<br />
nicht absolut, wie die Gottes oder des Königs, von der aller anderen<br />
Menschen unterschied. Die souveräne Subjektivität blieb ans Universelle,<br />
an die Totalität, die der König seiner Funktion gemäß beanspruchen<br />
konnte, und an die Macht gebunden, die er dank der ihm<br />
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