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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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Künstler haben es schwer nicht nur wegen ihres nach wie vor ungewissen<br />

Schicksals in der Welt, sondern weil sie der ästhetischen<br />

Wahrheit, der sie nachhängen, zwangshaft durch die eigene Anstrengung<br />

zuwider handeln. Soweit geschichtlich-real Subjekt und<br />

Objekt auseinandergetreten sind, ist Kunst möglich nur als durchs<br />

Subjekt hindurch gegangene. Denn Mimesis ans vom Subjekt nicht<br />

Hergerichtete ist nirgends anders als im Subjekt als Lebendigem.<br />

Das setzt sich fort in der Objektivation von Kunst durch ihren immanenten<br />

Vollzug, der des geschichtlichen Subjekts bedarf. Hofft das<br />

Kunstwerk durch seine Objektivation auf die dem Subjekt verborgene<br />

Wahrheit, so darum, weil das Subjekt selber nicht das Letzte ist. Das<br />

Verhältnis der Objektivität des Kunstwerks zum Vorrang des Objekts<br />

ist gebrochen. Sie zeugt für diesen im Stande des universalen Banns,<br />

der dem An sich Refugium gewährt nur noch im Subjekt, während<br />

seine Art Objektivität der vom Subjekt gewirkte Schein ist, Kritik an<br />

der Objektivität. Von solcher Objektwelt läßt sie nur die membra disiecto<br />

ein; einzig als demontierte wird jene dem Formgesetz kommensurabel.<br />

Subjektivität, notwendige Bedingung des Kunstwerks, ist aber nicht<br />

als solche die ästhetische Qualität. Sie wird es erst durch Objektivation;<br />

insofern ist Subjektivität im Kunstwerk sich selbst entäußert und<br />

verborgen. Das verkennt Riegls Begriff des Kunstwollens. Gleichwohl<br />

trifft er ein für immanente Kritik Wesentliches: daß über den Rang<br />

von Kunstwerken nicht ein ihnen Äußerliches befindet. Sie – nicht<br />

freilich ihre Autoren – sind ihr eigenes Maß, nach der Wagnerschen<br />

Formel ihre selbstgesetzte Regel. Die Frage nach, deren eigener<br />

Legitimation ist nicht jenseits von ihrer Erfüllung. Kein Kunstwerk ist<br />

nur, was es will,<br />

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aber keines ist mehr, ohne daß es etwas will. Das kommt der Spontaneität<br />

recht nahe, obwohl gerade sie auch Unwillkürliches involviert.<br />

Sie manifestiert sich vorab in der Konzeption des Werks, seiner aus<br />

ihm selbst ersichtlichen Anlage. Auch sie ist keine abschlußhafte Kategorie:<br />

vielfach verändert sie die Selbstrealisierung der Werke. Fast<br />

ist es das Siegel von Objektivation, daß unter dem Druck immanenter<br />

Logik die Konzeption sich verschiebt. Dies ichfremde, dem vorgeblichen<br />

Kunstwollen konträre Moment ist den Künstlern, wie den Theoretikern,<br />

zuweilen schreckhaft, bekannt; Nietzsche hat von demselben<br />

Sachverhalt am Ende von »Jenseits von Gut und Böse« gesprochen.<br />

Das Mo-ment des Ichfremden unterm Zwang der Sache ist<br />

wohl das Signum dessen, was mit dem Terminus genial gemeint war.<br />

Der Geniebegriff wäre, wenn irgend etwas an ihm zu halten ist, von<br />

jener plumpen Gleichsetzung mit dem kreativen Subjekt loszureißen,<br />

die aus eitel Überschwang das Kunstwerk ins Dokument seines Urhebers<br />

verzaubert und damit verkleinert. Die Objektivität der Werke,<br />

den Menschen in der Tauschgesellschaft ein Stachel, weil sie von<br />

Kunst, irrend, erwarten, sie mildere die Entfremdung, wird ιn den<br />

Menschen, der hinter dem Werk stehe, zurückübersetzt; meist ist er<br />

nur die Charaktermaske derer, die das Werk als Konsumartikel verkaufen<br />

wollen. Will man den Geniebegriff nicht einfach als romanti-<br />

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