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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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anderen herrscht derselbe Ton. Dieser Ton jedoch kann auch bis zur<br />

Barbarei der Stumpfheit herunterkommen, die das Wesen. der Sache<br />

und Situation sich nicht zum Bewußtsein gelangen läßt und sich nur<br />

an teils rohe, teils abgeschmackte Äußerlichkeiten hält. Wie es z. B.<br />

in dem Tambours-Gesellen aus Des Knaben<br />

/375/<br />

Wunderhorn heißt: »O Galgen, du hohes Haus!« oder: »Adje, Herr<br />

Korporal«, was denn als höchst rührend ist gepriesen worden. Wenn<br />

dagegen Goethe singt [»Blumengruß«]:<br />

Der Strauß, den ich gepflücket,<br />

Grüße dich vieltausendmal!<br />

Ich habe mich oft gebücket,<br />

Ach, wohl eintausendmal,<br />

Und ihn ans Herz gedrücket<br />

Wie hunderttausendmal! –<br />

so ist hier die Innigkeit in einer ganz anderen Weise angedeutet, die<br />

nichts Triviales und in sich selbst Widriges vor unsere Anschauung<br />

stellt. Was aber überhaupt dieser ganzen Art der Objektivität abgeht,<br />

ist das wirkliche, klare Heraustreten der Empfindung und Leidenschaft,<br />

welche in der echten Kunst nicht jene verschlossene Tiefe<br />

bleiben darf, die nur leise anklingend sich durch das Äußere hindurchzieht,<br />

sondern sich vollständig entweder für sich herauskehren<br />

oder das Äußere, in welches sie sich hineinlegt, hell und ganz durchscheinen<br />

muß. Schiller z. B. ist bei seinem Pathos mit der ganzen<br />

Seele dabei, aber mit einer großen Seele, welche sich in das Wesen<br />

der Sache einlebt und deren Tiefen zugleich aufs freieste und glänzendste<br />

in der Fülle des Reichtums und Wohlklanges auszusprechen<br />

vermag.<br />

c) In dieser Beziehung können wir, dem Begriff des Ideals gemäß,<br />

auch hier von seiten der subjektiven Äußerung die wahre Objektivität<br />

dahin feststellen, daß von dem echten Gehalt; der den Künstler begeistert,<br />

nichts in dem subjektiven Inneren zurückbehalten, sondern<br />

alles vollständig, und zwar in einer Weise entfaltet werden muß, in<br />

welcher die allgemeine Seele und Substanz des erwählten Gegenstandes<br />

ebensosehr hervorgehoben als die individuelle Gestaltung<br />

desselben in sich vollendet abgerundet und der ganzen Darstellung<br />

nach von jener Seele und Substanz durchdrungen erscheint. Denn<br />

das Höchste und Vortrefflichste ist nicht etwa das Unaussprechbare,<br />

so daß der Dichter in sich noch von größerer Tiefe wäre, als das<br />

Werk dartut, sondern seine<br />

/376/<br />

Werke sind das Beste des Künstlers und das Wahre; was er ist, das<br />

66

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