Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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gewissen Bauens; mit dem Problem einer Verankerung im<br />
Grund, mit Vorstellungen der Tiefe und der Höhe also, wie sie<br />
von Sätzen wie dem herausgefordert werden, daß seine Fundamente<br />
tiefer legen müsse, wer hoch hinaus wolle. 53 In jedem<br />
Fall hätte sich eine solche Analyse den Vorstellungen einer gewissen<br />
Seßhaftigkeit zuzuwenden, die sich in der Rede von<br />
einer "Grundlegung" einstellen. Und sie hätte sich schließlich<br />
der Frage zu stellen, ob die territoriale oder architektonische<br />
Metaphorik geeignet ist, die Spezifika unserer künstlerischen,<br />
philosophischen oder ästhetischen Erfahrung zu fassen.<br />
Anstatt aber diese Analyse einer Metaphorik des Grundes zu<br />
beginnen, will ich - auch dies in der Kürze der Zeit, die nur Andeutungen<br />
zuläßt - vorschlagen, die virtuellen Welten des Cyberspace,<br />
die in den Forschungslabors der "Künstlichen Intelligenz"<br />
erscheinen, als Paradigma einer solchen Erfahrung zu<br />
entziffern, für die sich im Innern des Grundes ein Ab-Grund auftut.<br />
Denn wo die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine<br />
nicht mehr in der alphanumerischen Tastatur besteht und wir<br />
auch die zweite Generation der Benutzeroberfläche - die Maus,<br />
die auf den Bildschirmen den zeigenden Finger vertrat - aus der<br />
Hand geben; wo wir uns stattdessen die Maschine anziehen<br />
und die gesamte Oberfläche des Körpers zu einer Benutzeroberfläche<br />
der dritten Generation werden lassen, um in körperloser<br />
Körperlichkeit in die multidimensionalen Welten der Programme,<br />
der zirkulierenden Daten und Informationen einzutauchen,<br />
führt sich eine Unentscheidbarkeit ein, die abgründig ist.<br />
Denn unentscheidbar ist, wo der Körper aufhört und wo die Maschine<br />
beginnt; wo die Oberfläche der Haut in die Benutzeroberfläche<br />
der Maschine übergeht; kurz: die Welt des Cyberspace<br />
läßt uns in der Aporie der Oberfläche und damit in der<br />
Aporie der Grenze versinken. Denn die Oberfläche beschreibt<br />
eine Grenze zwischen Innen und Außen, aber sie tut dies, weil<br />
sie als Oberfläche weder Innen noch Außen "ist". Weder diesseits<br />
noch jenseits situiert, tut sich an der Oberfläche ein Abgrund<br />
auf; aber man könnte ebenso sagen: der Abgrund spielt<br />
allein auf der Oberfläche, denn er "ist" nichts anderes als dieses<br />
Spiel. In gewisser Hinsicht verändert Cyberspace also auch<br />
nicht die Welt und beschreibt auch keine andere Welt; noch die<br />
Rede von "virtuellen Welten", die das technologische Universum<br />
der Körper-Benutzer-Oberfläche auftue, ist ein zu weitgehendes<br />
Zugeständnis. Vielmehr bricht unter dem Namen Cyberspace<br />
eine Deterritorialisierung in die Ordnung des Grundes<br />
53 "Schließlich gilt nicht nur für das Bauen: wer hoch hinaus will, muß seine<br />
Fundamente tiefer legen." (Fritz Seitz, Wer hoch hinaus will, muß seine<br />
Fundamente tiefer legen, in: Con-Texte. Materialien zur Lehre an den<br />
Kunsthochschulen, Hamburg 1990, S.7)<br />
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