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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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Georges Bataille: Die Souveränität in Kunst und Literatur<br />

In: Die psychologische Struktur des Faschismus – Die Souveränität,<br />

München: Matthes & Seitz, 1978, S.73-86<br />

/73/<br />

1. Von der Notwendigkeit der Menschen, zunächst ihr subjektives<br />

Leben zu verobjektivieren<br />

Die vorhergehenden Analysen haben klar gezeigt, wie unerhört<br />

schwer es den Menschen fällt, ein subjektives, souveränes Leben zu<br />

führen, und doch ist das ihre Bestimmung, dasjenige, wodurch sie<br />

sich von den Tieren unterscheiden. Ihr unmittelbares Verhalten ist<br />

Tätigkeit (Arbeit), von der sie ein Resultat erwarten: ihre Tätigkeit<br />

ordnet sie unter, ordnet ihre gegenwärtige Zeit dem Arbeitsergebnis,<br />

das sie erwarten, unter. Diese Tätigkeit ist notwendig, aber indem die<br />

Menschen sich damit abfinden, müssen sie gleichzeitig sich das Ergebnis<br />

in greifbarer Form vergegenwärtigen. Das ist der Sinn der<br />

seltsamen und universellen Institution der Souveränität, die bislang<br />

aus dem Bedürfnis nach Ordnung, nach Autorität erklärt wurde. Indessen<br />

ist diese Institution in ihrer Komplexität, ihrer verrückten Verschwendung,<br />

mit ihrer zur Schau gestellten Pracht und ihren unergründlichen<br />

Exzessen auf die Funktion der bloßen Koordinierung<br />

nicht zu reduzieren. Es läßt sich schließlich nicht leugnen, daß sie<br />

von jeher dem universellen Bedürfnis entsprach, von dem die Rede<br />

ist: nämlich unablässig und ohne Aufschub das angestrebte Resultat<br />

vor Augen zu haben.<br />

Noch heute, wenn die Menge sich in den Straßen drängt, um die königliche<br />

Familie vorüberfahren zu sehen, ist, was sie eigentlich erblicken<br />

möchte, ein Wunschbild ihrer selbst. Aber die Ansprüche unserer<br />

zivilisierten Massen sind primitiv, verglichen mit denen der versammelten<br />

Wilden. Sie sind ebensoweit entfernt voneinander wie die<br />

oberflächlich Gläubigen entfernt sind von den wirklich Frommen, die<br />

die Religion bis zum Mystizismus treiben. Diese Differenz ist nicht<br />

bloß auf Müdigkeit zurückzuführen, auf das Fehlen aller inneren Anfechtung,<br />

wie sie für den heutigen Menschen charakteristisch zu sein<br />

scheinen. Vielmehr haben wir es hier mit den letzten Zuckungen der<br />

traditionellen Souveränität zu tun. Was wir auf den Straßen Londons<br />

sehen können, ist eine Verfallserscheinung. Gewiß, die industrialisierte<br />

Menschheit ist im tiefsten desorientiert, doch sucht sie anderswo,<br />

was der ägyptische Mensch in der Kontemplation des lebenden oder<br />

toten Pha-<br />

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