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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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für die wahre Auslegung der Chiffreschrift zu halten, wodurch die Natur<br />

in ihren schönen Formen figürlich zu uns spricht. Allein erstlich ist<br />

dieses unmittelbare Interesse am Schönen der Natur wirklich nicht<br />

gemein, sondern nur denen eigen, deren Denkungsart entweder zum<br />

Guten schon ausgebildet, oder dieser Ausbildung vorzüglich empfänglich<br />

ist, und dann führt die Analogie zwischen dem reinen Geschmacksurteile,<br />

welches, ohne von irgend einem Interesse abzuhängen,<br />

ein Wohlgefallen fühlen läßt, und es zugleich a priori als der<br />

Menschheit überhaupt anständig vorstellt, mit dem moralischen Urteile,<br />

welches eben dasselbe aus Begriffen tut, auch ohne deutliches,<br />

subtiles und vorsätzliches Nachdenken, auf ein gleichmäßiges unmittelbares<br />

Interesse an dem Gegenstande des ersteren, so wie an dem<br />

des letzteren: nur daß jenes ein freies, dieses ein auf objektive Gesetze<br />

gegründetes Interesse ist. Dazu kommt noch die Bewunderung<br />

der Natur, die sich an ihren<br />

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schönen Produkten als Kunst, nicht bloß durch Zufall, sondern<br />

gleichsam absichtlich, nach gesetzmäßiger Anordnung und als<br />

Zweckmäßigkeit ohne Zweck, zeigt: welchen letzteren, da wir ihn<br />

äußerlich nirgend antreffen, wir natürlicher Weise in uns selbst, und<br />

zwar in demjenigen, was den letzten Zweck unseres Daseins ausmacht,<br />

nämlich der moralischen Be stimmung, suchen (von welcher<br />

Nachfrage nach dem Grunde der Möglichkeit einer solchen Naturzweckmäßigkeit<br />

aber allererst in der Teleologie die Rede sein wird).<br />

Daß das Wohlgefallen an der schönen Kunst im reinen Geschmacksurteile<br />

nicht eben so mit einem unmittelbaren Interesse verbunden ist,<br />

als das an der schönen Natur, ist auch leicht zu erklären. Denn jene<br />

ist entweder eine solche Nachahmung von dieser, die bis zur Täuschung<br />

geht: und alsdann tut sie die Wirkung als (dafür gehaltene)<br />

Naturschönheit; oder sie ist eine absichtlich auf unser Wohlgefallen<br />

sichtbarlich gerichtete Kunst: alsdann aber würde das Wohlgefallen<br />

an diesem Produkte zwar unmittelbar durch Geschmack Statt finden,<br />

aber kein anderes als mittelbares Interesse an der zum Grunde liegenden<br />

Ursache, nämlich einer Kunst, welche nur durch ihren Zweck,<br />

niemals an sich selbst, interessieren kann. Man wird vielleicht sagen,<br />

daß dieses auch der Fall sei, wenn ein Objekt der Natur durch seine<br />

Schönheit nur in sofern interessiert, als ihr eine moralische Idee beigesellet<br />

wird; aber nicht dieses, sondern die Beschaffenheit derselben<br />

an sich selbst, daß sie sich zu einer solchen Beigesellung qualifiziert,<br />

die ihr also innerlich zukommt, interessiert unmittelbar.<br />

Die Reize in der schönen Natur, welche so häufig mit der schönen<br />

Form gleichsam zusammenschmel zend angetroffen werden, sind<br />

entweder zu den Modifikationen des Lichts (in der Farbengebung)<br />

oder des Schalles (in Tönen) gehörig. Denn diese sind die einzigen<br />

Empfindungen, welche nicht bloß Sinnengefühl, sondern auch Reflexion<br />

über die Form dieser Modifikationen der Sinne verstatten, und so<br />

gleichsam eine Sprache, die die Natur zu uns führt, und die einen<br />

höhern Sinn zu haben scheint, in sich enthalten. So<br />

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