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Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger

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wenn z. B. der Dichter »wie<br />

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der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet«. Der eigene Frohsinn ist<br />

dann der Anlaß, der auch zugleich aus dem Innern heraus sich selbst<br />

als Stoff und Inhalt darbieten kann, indem er zum künstlerischen Genuß<br />

der eigenen Heiterkeit treibt. Dann ist auch »das Lied, das aus<br />

der Kehle dringt, ein Lohn, der reichlich lohnet«. Auf der anderen Seite<br />

jedoch sind oft die größten Kunstwerke auf eine ganz äußerliche<br />

Veranlassung geschaffen worden. Die Preisgesänge Pindars z. B.<br />

sind häufig aus Aufträgen entstanden, ebenso ist den Künstlern für<br />

Gebäude und Gemälde der Zweck und Gegenstand unzähligemal<br />

aufgegeben worden, und sie haben sich doch dafür zu begeistern<br />

vermocht. Ja, es ist sogar eine vielfach zu vernehmende Klage der<br />

Künstler, daß es ihnen an Stoffen fehle, die sie bearbeiten könnten.<br />

Eine solche Äußerlichkeit und deren Anstoß zur Produktion ist hier<br />

das Moment der Natürlichkeit und Unmittelbarkeit, welche zum Begriff<br />

des Talents gehört und sich in Rücksicht auf den Beginn der Begeisterung<br />

daher gleichfalls hervorzutun hat . Die Stellung des Künstlers<br />

ist nach dieser Seite hin von der Art, daß er eben als natürliches<br />

Talent in Verhältnis zu einem vorgefundenen gegebenen Stoffe tritt,<br />

indem er sich durch einen äußeren Anlaß, durch ein Begebnis, oder<br />

wie Shakespeare z. B. durch Sagen, alte Balladen, Novellen, Chroniken<br />

in sich aufgefordert findet, diesen Stoff zu gestalten und sich<br />

überhaupt darauf zu äußern. Die Veranlassung also zur Produktion<br />

kann ganz von außen kommen, und das einzig wichtige Erfordernis<br />

ist nur, daß der Künstler ein wesentliches Interesse fasse und den<br />

Gegenstand in sich lebendig werden lasse. Dann kommt die Begeisterung<br />

des Genies von .selbst. Und ein echt lebendiger Künstler<br />

findet eben durch diese Lebendigkeit tausend Veranlassungen zur<br />

Tätigkeit und Begeisterung — Veranlassungen, an welchen andere,<br />

ohne davon berührt zu werden, vorübergehen.<br />

β) Fragen wir weiter, worin die künstlerische Begeisterung bestehe,<br />

so ist sie nichts anderes, als von der Sache ganz er-<br />

/373/<br />

füllt zu werden, ganz in der Sache gegenwärtig zu sein und nicht eher<br />

zu ruhen, als bis die Kunstgestalt ausgeprägt und in sich abgerundet<br />

ist.<br />

γ) Wenn nun aber der Künstler in dieser Weise den Gegenstand ganz<br />

zu dem seinigen hat werden lassen, muß er umgekehrt seine subjektive<br />

Besonderheit und deren zufällige Partikularitäten zu vergessen<br />

wissen und sich seinerseits ganz in den Stoff versenken, so daß er<br />

als Subjekt nur gleichsam die Form ist für das Formieren des Inhaltes,<br />

der ihn ergriffen hat. Eine Begeisterung, in welcher sich das Subjekt<br />

als Subjekt aufspreizt und geltend macht, statt das Organ und die<br />

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