Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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Wenn man bei Durchsuchung eines Moorbruches, wie es bisweilen<br />
geschehen ist, ein Stück behauenes Holz antrifft, so sagt man nicht,<br />
es ist ein Produkt der Natur, sondern der Kunst; die hervorbringende<br />
Ursache derselben hat sich einen Zweck gedacht, dem dieses seine<br />
Form zu danken hat. Sonst sieht man wohl auch an allem eine Kunst,<br />
was so beschaffen ist, daß eine Vorstellung desselben in ihrer Ursache<br />
vor ihrer Wirklichkeit vorhergegangen sein muß, (wie selbst bei<br />
Bienen), ohne daß doch die Wirkung von ihr eben gedacht sein dürfe:<br />
wenn man aber etwas schlechthin ein Kunstwerk nennt, um es von<br />
einer Naturwirkung zu unterscheiden, so versteht man allemal darunter<br />
ein Werk der Menschen.<br />
2) Kunst als Geschicklichkeit des Menschen wird auch von der Wissenschaft<br />
unterschieden (Können vom Wissen), als praktisches vom<br />
theoretischen Vermögen, als Technik von der Theorie (wie die Feldmeßkunst<br />
von der Geometrie). Und da wird auch das, was man kann,<br />
sobald man nur weiß, was getan werden soll, und also nur die begehrte<br />
Wirkung genugsam kennt, nicht eben Kunst genannt. Nur das,<br />
was man, wenn man es auch auf das voll-<br />
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ständigste kennt, dennoch darum zu machen noch nicht sofort die<br />
Geschicklichkeit hat, gehört in so weit zur Kunst. Camper beschreibt<br />
sehr genau, wie der beste Schuh beschaffen sein müßte, aber er<br />
konnte gewiß keinen machen. 3<br />
3) Wird auch Kunst vom Handwerke unterschieden; die erste heißt<br />
freie, die andere kann auch Lohnkunst heißen. Man sieht die erste so<br />
an, als ob sie nur als Spiel, d.i. Beschäftigung, die für sich selbst angenehm<br />
ist, zweckmäßig ausfallen (gelingen) könne; die zweite so,<br />
daß sie als Arbeit, d.i. Beschäftigung, die für sich selbst unangenehm<br />
(beschwerlich), und nur durch ihre Wirkung (z.B. den Lohn) anlockend<br />
ist, mithin zwangsmäßig auferlegt werden kann. Ob in der<br />
Rangliste der Zünfte Uhrmacher für Künstler, dagegen Schmiede für<br />
Handwerker gelten sollen: das bedarf eines andern Gesichtspunkts<br />
der Beurteilung, als derjenige ist, den wir hier nehmen; nämlich die<br />
Proportion der Talente, die dem einen oder anderen dieser Geschäfte<br />
zum Grunde liegen müssen. Ob auch unter den sogenannten sieben<br />
freien Künsten nicht einige, die den Wissenschaften beizuzählen,<br />
manche auch, die mit Handwerken zu vergleichen sind, aufgeführt<br />
worden sein möchten: davon will ich hier nicht reden. Daß aber in<br />
allen freien Künsten dennoch etwas Zwangsmäßiges, oder, wie man<br />
es nennt, ein Mechanismus erforderlich sei, ohne welchen der Geist,<br />
der in der Kunst frei sein muß und allein das Werk belebt, gar keinen<br />
3 In meinen Gegenden sagt der gemeine Mann, wenn man ihm etwa eine<br />
solche Aufgabe vorlegt, wie Kolumbus mit seinem Ei: das ist keine Kunst,<br />
es ist nur eine Wissenschaft. D. i. wenn man es weiß, so kann man es;<br />
und eben dieses sagt er von allen vorgeblichen Künsten des Taschenspielers.<br />
Die des Seiltänzers dagegen wird er gar nicht in Abrede sein<br />
Kunst zu nennen.<br />
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