Geniebegriffe - Hans-Joachim Lenger
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profane Kunst hat zweifellos die Kraft der Erneuerung, doch wird das<br />
Künstliche an der Kunst spürbar, sobald der Ausdruck die unbewegliche,<br />
durch Jahrhunderte geheiligte Form verläßt. Man sieht nur noch<br />
einen servilen Künstler, der ganz damit beschäftigt ist, die wirksamsten<br />
Mittel zu finden. Die menschliche Subjektivität ist nicht mehr<br />
sichtbar. Es ist nur noch die Subjektivität eines beliebigen Menschen,<br />
der sich in der Welt der Dinge zu schaffen macht und dem diese Geschäftigkeit<br />
eine Existenz auf dem Niveau der geknechteten Menge<br />
gewährt. Nicht einmal sein Genie enthebt den Künstler der Notwendigkeit,<br />
sich armselig seinen Weg zu bahnen, oft sogar durch Intrigen,<br />
Rivalitäten und Schmeichelei. Auch ist er nicht frei von dem auf<br />
einem Irrtum beruhenden Größenwahn, der die ruhige Einfachheit,<br />
Privileg jener königlichen Personen, denen mühelos das Glück Majestät<br />
verlieh, durch hochtrabendes Geschwätz wettzumachen sucht.<br />
Und doch hat der Künstler durch den Ausdruck — und zwar meist<br />
ohne es zu wissen — selbst Zugang zur souveränen Subjektivität.<br />
Was den Künstler lange Zeit vom souveränen Selbstbewußtsein<br />
fernhielt, war seine Redlichkeit. Der Künstler verfertigte das Kunstwerk.<br />
Wer wußte besser als er, welcher Geschicklichkeit, welcher<br />
Arbeit und, wenn man will, welchen Bluffs es bedarf, um auch nur<br />
irgend etwas auszudrücken. Sofern sie ist, ist die Subjektivität souverän,<br />
und sie ist, sofern sie mitgeteilt wird. Aber seine Redlichkeit hinderte<br />
den Künstler, sich seiner Situation bewußt zu werden. Seine<br />
Redlichkeit und das Gefühl, sich einer Majestäts-<br />
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beleidigung schuldig zu machen, hinderten ihn, sich eine Souveränität<br />
anzueignen, die bislang ausschließlich einer Institution zustand.<br />
Die sakrale Kunst war zunächst für den Künstler Ausdruck<br />
fremder, nicht der eigenen Subjektivität. Die profane Kunst verdankte<br />
ihr Ansehen der Tatsache, daß sie diese bescheidene Haltung beibehielt.<br />
Wenn sie sich auch in der Regel der Affirmation der herrschenden<br />
Souveränität enthielt, so beschränkte sie sich doch nach<br />
Möglichkeit auf den Ausdruck fremder Subjektivität. Diese Art Kunst<br />
diente vor allem dem Ausdruck von Personen, die sich nicht als souverän<br />
wußten und deren flüchtige, aber notwendigerweise souveräne<br />
Subjektivität nicht bemerkt worden wäre, hätte man sie im Zusammenhang<br />
mit einer beschränkten Realität dargestellt, mit einem alltäglichen<br />
Geschehen im Laden oder im Büro. Die Darstellung von<br />
Personen in der Kunst verlangt der Konvention entsprechend das<br />
Weglassen von äußeren Merkmalen, aber diese Art billiger Souveränität,<br />
wie man sie durch Aussparen der banalen Momente erlangt,<br />
erzeugt noch kein klares Bewußtsein von der souveränen Situation<br />
überhaupt. Die so gezeichneten Personen werden vielleicht nicht<br />
gerade in einer unbedeutenden Haltung festgehalten, aber doch in<br />
ihrer Unfähigkeit, die Totalität des Seins auf sich zu nehmen.. Das<br />
Gleitende, das der profanen Kunst eigentümlich ist, hat die Konsequenz,<br />
daß, wenn es trotz allem dem Künstler gelingt, seine Subjektivität<br />
auszudrücken, diese immer nur als aufblitzende Subjektivität, die<br />
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