die Ambulanz rufen könne o<strong>der</strong> dass ich 340 Euro zahlen müsste. Als ich versuchte, zu erklären, dass ich soviel Geld nicht hätte, sagten sie nur: „Dann musst du bei dir zuhause entbinden.“ Das ist <strong>der</strong> Grund warum ichkeine Schwangerenfürsorge hatte.“ F. Ugan<strong>der</strong>in, seit zwei Jahren im Vereinigten Königreich (gekommen,um ihre sterbende Schwester zu sehen).> Im September 2006 hatte Frau O. einen Unfall. Sie leidet seitdem an Schmerzen im unteren Rücken. Ihrbehandeln<strong>der</strong> Arzt schickt sie zum Röntgen in ein Krankenhaus. Bei ihrer Ankunft im Krankenhaus verweigertman ihr diese Untersuchung, da sie nicht versichert ist und nicht genug Geld hat, um die Kosten in vollerHöhe zu zahlen. Einige Wochen später schickt <strong>der</strong> behandelnde Arzt seine Patientin erneut ins Krankenhaus,dieses Mal für Blutuntersuchungen. Wie<strong>der</strong> einmal kann Frau O. diese Untersuchung aus denselben Gründenwie beim ersten Mal nicht durchführen lassen. Obwohl es zuvor einen finanziellen Kompromiss gegebenhat, den ein Verband mit <strong>der</strong> Finanzabteilung des Krankenhauses nach dem Besuch <strong>von</strong> Frau O. in <strong>der</strong>Notaufnahme ausgehandelt hatte, lehnt es das Krankenhaus schließlich ab, die Blutuntersuchungdurchzuführen. Einige Monate später leidet Frau O. an Herzflattern: Der behandelnde Arzt möchte, dass sieUntersuchungen durchführen lässt, um die Diagnose präzisieren zu können. Sie traut sich jedoch nicht, insKrankenhaus zu gehen, nachdem sie zweimal abgelehnt worden ist. Sie und <strong>der</strong> behandelnde Arzt wissennicht mehr, was sie tun sollen. Schließlich setzt sich <strong>der</strong> Arzt mit einem Kollegen in Verbindung, <strong>der</strong>Kardiologe ist und sich einverstanden erklärt, sie kostenlos zu empfangen. Frau O., Ghanaerin, 48 Jahre alt,seit fünf Jahren in den Nie<strong>der</strong>landen.> Im Oktober 2007 leidet Frau Z. an starken Magenschmerzen. Der behandelnde Arzt vermutet Nierensteine undschickt sie für Untersuchungen in ein Krankenhaus. Als sie dort hingeht, werden ihr die Untersuchungenjedoch verweigert, da sie nicht versichert ist und da sie die Kosten nicht zahlen kann. Der behandelnde Arztverschreibt ihr starke Schmerzmittel, die Schmerzen bestehen jedoch fort. Eineinhalb Monate später schickt<strong>der</strong> Arzt Frau Z. erneut ins Krankenhaus, nachdem er mit dem Personal in <strong>der</strong> Urologie telefoniert hat. AmEmpfang <strong>der</strong> Urologie wird Frau Z. erneut mitgeteilt, dass diese Untersuchungen nicht durchgeführt werdenkönnen, wenn sie sie nicht bezahlt. Zehn Monate später hat sie immer noch Schmerzen und keinen Zugangzu medizinischer Versorgung. Frau Z., Armenierin, 32 Jahre alt, seit vier Jahren in den Nie<strong>der</strong>landen.• Der erlebte Rassismus im Allgemeinen und in <strong>medizinischen</strong> Einrichtungen aus Sicht<strong>der</strong> BetroffenenSeit fünfzehn Jahren 102 existiert im öffentlichen Gesundheitswesen eine wachsende Zahl epidemiologischer Arbeiten,die sich mit dem Rassismus und seiner Wirkung auf die Gesundheit befassen und insbeson<strong>der</strong>e die Frage nachRassismus in seiner subjektiv erlebten Form stellen. Auch wenn diese Reflektionsachse nur eine Facette einesPhänomens einschließt, das viel komplexer ist und auch wenn die Ergebnisse dieser Arbeiten nicht alle übereinstimmen,schließen die meisten <strong>von</strong> ihnen jedoch auf die schädliche Auswirkung <strong>von</strong> Rassismus auf die Gesundheit <strong>der</strong>Betroffenen (natürlich auf die psychische Gesundheit, jedoch auch auf einige Verhaltensweisen in Verbindung mit <strong>der</strong>Gesundheit sowie beispielsweise auch auf die kardiovaskuläre Gesundheit) 103 .Eine Frage über den Rassismus wurde allen Befragten gestellt 104 . Ein Drittel <strong>der</strong> befragten Personen wurde im Laufedes abgelaufenen Jahres Opfer <strong>von</strong> Rassismus (36 %, IC95 % = [33,1 %-38,9 %]): 10 % sind <strong>der</strong> Meinung, dass dies„häufig“ <strong>der</strong> Fall war und 26 % „ab und zu“, <strong>ohne</strong> signifikanten Unterschied bei den Geschlechtern.102. Der erste Artikel, <strong>der</strong> den Einfluss <strong>von</strong> Rassismus im Bereich <strong>der</strong> öffentlichen Gesundheit auf die Gesundheit behandelt wurde <strong>von</strong> Krieger et coll. im Jahr 1993veröffentlicht (Krieger N., Rowley D., Hermann A.A., Avery B., Phillips M.T., „Racism, sexism and social class: implications for studies of health, disease, and well-being“, Am J Prev Med,1993 ; 9 : 82–122).103. Im Jahr 2006 wurden 138 Artikel in <strong>der</strong> Literatur gefunden, darunter nur 12 europäische… (Paradies Y., „A systematic review of empirical research on self-reported racismand health“, Int J Epidemiol, 2006, 35: 888-901.)104. „Sind Sie im Laufe des vergangenen Jahres (o<strong>der</strong> seitdem Sie in dieses Land eingereist sind), in den verschiedenen Bereichen Ihres Privat- und sozialen Lebens Opfer <strong>von</strong>Rassismus geworden (Diskriminierung in Verbindung mit Ihrer Hautfarbe, Herkunft etc.)?“110Bericht des European Observatory – Médecins du Monde
Von allen Befragten geben Afrikaner, Personen aus Lateinamerika und <strong>der</strong> Karibik und die Personen aus demMaghreb am häufigsten an, dass sie Opfer <strong>von</strong> Rassismus wurden. Europäer und Asiaten scheinen dem wenigerausgesetzt zu sein.89- Anteil <strong>der</strong> Personen, die angeben, dass sie im Laufe des vergangenen Jahres Opfer <strong>von</strong> Rassismus gewordenseien - entsprechend ihrer geografischen HerkunftAfrikaMittel- undEuropaMaghrebAn<strong>der</strong>e Asien Gesamtsüdlich <strong>der</strong> Sahara Südamerikaaußerhalb <strong>der</strong> EUAb und zuHäufig> „Ich fühle mich jeden Tag ausgeschlossen. Heute zum Beispiel, wie jeden Tag auf dem Markt, wollen sienicht, dass ich als erste bedient werde, weil ich schwarz bin. Dies passiert auch jeden Tag im Bus. Ich glaube,das ist so, weil sie denken, dass die Einwan<strong>der</strong>er, die hier sind, Schuld an <strong>der</strong> Krise sind.“ Frau, Nigerianerin, 24Jahre alt, lebt seit drei Jahren in Spanien in Palma de Mallorca.In einer multivariaten Analyse, in <strong>der</strong> gleichzeitig das Geschlecht, das Alter, die geografische Herkunft und die bisherigeAufenthaltsdauer im Land, in dem die Umfrage durchgeführt wurde, berücksichtigt wird, ist festzustellen, dass:• Männer und Frauen gleichermaßen betroffen sind;• Personen im Alter <strong>von</strong> 25 bis 54 Jahren doppelt so häufig betroffen sind, wie die Jüngsten o<strong>der</strong> die Älteren;• Das Risiko, Opfer <strong>von</strong> Rassismus zu werden, mit <strong>der</strong> Aufenthaltsdauer in Form einer „U-Kurve“zusammenhängt: Im Laufe des ersten Aufenthaltsjahres ist sie am höchsten, zwischen einem und zwei Jahrenam niedrigsten und steigt dann wie<strong>der</strong> gleichmäßig, um nach sechs Jahren erneut am höchsten zu sein. Dieskönnte sich durch das Zusammenwirken zweier Phänomene erklären, die eine entgegengesetzte Entwicklungbeschreiben: Eine abnehmende Frequenz jener Vorkommnisse, in denen die betreffende Person mitrassistischen Personen konfrontiert ist und/o<strong>der</strong> feindselige Äußerungen hervorruft mit dem Fortschreiten <strong>der</strong>Aufenthaltsdauer (durch das Erlernen <strong>von</strong> Vermeidungsstrategien und/o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Einbeziehung kulturellerNormen des Aufnahmelandes) und eine Empfänglichkeit für rassistische Äußerungen (und somit die Tatsache,sich als Opfer <strong>von</strong> Rassismus zu sehen), die mit <strong>der</strong> weiterem Andauern des Aufenthaltes im Aufnahmelandsteigt;• Das Risiko ist bei Menschen aus Afrika südlich <strong>der</strong> Sahara doppelt hoch (OR = 1,88, IC95 % = [1,22-2,90]) undist bei Maghrebiner gleich hoch (OR = 1,40, auch wenn <strong>der</strong> Unterschied nicht signifikant ist: IC95 % = [0.84-2.34]). Dagegen ist das Risiko bei Lateinamerikanern halb so hoch (OR = 0,51, IC95 % = [0,28-0,91]).Der Anteil jener, die Opfer <strong>von</strong> Rassismus geworden sind, ist im Vergleich zwischen den Län<strong>der</strong>n, in denen die Umfragestattgefunden hat, signifikant verschieden. In Frankreich ist er am niedrigsten. Die hohen Anteile, die in Spanien,Griechenland und in Italien beobachtet wurden, können zweifelsfrei mit <strong>der</strong> Tatsache in Zusammenhang gebrachtwerden, dass es sich um drei junge Einwan<strong>der</strong>ungslän<strong>der</strong> handelt (zehn Jahre Migration). Überdies scheint es, dass dieFrage in Spanien <strong>von</strong> den Interviewern hinsichtlich <strong>der</strong> Diskriminierungen ausgeweitet worden ist, anstatt nur denRassismus zu dokumentieren.Bericht des European Observatory – Médecins du Monde 111