A R B E I T S B E R I C H T E - Geographisches Institut
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Exkurs: Der 19. September 1985<br />
Der folgende Augenzeugenbericht gibt die ersten Eindrücke aus der Zeit kurz nach dem Erdbeben vom 19.<br />
September 1985 wieder:<br />
„ Als sie ihre Augen erhoben, präsentierte sich ihnen eine unbekannte, grundsätzlich veränderte<br />
Stadtlandschaft. In Richtung Fray Servando fehlten einige Hochhäuser, andere, die oberen<br />
zerstörten Stockwerke zu Füßen des Restbauwerks, waren bedeckt mit verkrümmten<br />
Eisenträgern und einem heillosen Chaos aus Beinen von Schreibtischen und Sesseln.<br />
Stoffetzen, einstmals Gardinen, stellten jetzt, vom Wind bewegt, Fahnen der Katastrophe<br />
dar.“ 30<br />
Das Straßenbild der Stadt hatte sich innerhalb weniger Augenblicke auf eine so plötzliche und erschreckende<br />
Art und Weise verändert, daß gleichfalls mit dem Beben die Lebensgrundlage f ür viele Bewohner zusammenbrach.<br />
Zehntausende waren gezwungen, sich nun mit der neuen Realität abzufinden.<br />
Der offiziell bekanntgegebenen Zahl von 4.287 Toten, der kaum jemand Glauben schenkt, stehen Schätzungen<br />
zwischen 20.000 und 50.000 Toten, 100.000 Verletzten, 100.000 zerstörten oder besch ädigten Wohnungen, 800<br />
beschädigten Schulen, 24 besch ädigten Krankenhäusern etc. gegenüber. 31<br />
Innerhalb der Stadt löste die Katastrophe eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft aus, wohingegen die<br />
Regierung sich als unfähig erwies, mit dem Chaos umzugehen. Die Regierung erbat internationale Hilfe und<br />
erklärte einige Tage nach dem Beben, daß sich selbstverständlich an den Plänen zur Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft<br />
nichts ändere. In der folgenden Zeit florierte der Schwarzmarkt: es tauchten Zelte und<br />
Decken aus internationalen Hilfssendungen auf, Spendengelder wanderten in private Taschen und an Stelle der<br />
zerstörten Hochh äuser wurden öffentliche Grünanlagen angelegt. Mit der Zeit konnte die Regierung den<br />
entstehenden Volkszorn kaum mehr im Zaum halten und rief großangelegte Wiederaufbauprogramme ins Leben,<br />
die kurze Zeit später den f ür Mexiko berühmten „ Bürokratentod“ starben. Sechs Monate nach dem Beben<br />
saßen immer noch Zehntausende der Erdbebenopfer auf der Straße, in Notunterkünften oder in Hotels.<br />
Einen Monat nach dem 19. September kam es dann zur Gründung der „ Koordination der Geschädigten“ (CUD),<br />
einem Zusammenschluß verschiedener lokaler Organisationen. Das Ziel sollte sein, gemeinsam bei Verhandlungen<br />
mit offiziellen Stellen vorzugehen. Es wurde eine direkte, gerechte Verteilung der Hilfsgelder und -güter<br />
an die Erdbebenopfer, ein rascher Wiederaufbau bzw. die Neuerrichtung der Wohnungen unter sozialen Gesichtspunkten,<br />
eine Respektierung der ursprünglichen Lebensformen sowie eine angemessene Kreditvergabe<br />
gefordert.<br />
Zu diesem Zweck wurden Demonstrationen organisiert, des weiteren Alternativvorschläge zur Beschleunigung<br />
der Hilfsmaßnahmen unterbreitet sowie in verschiedenen Zeitungen Presseerklärungen abgegeben, in denen<br />
unter anderem die Hinhaltetechnik der Regierungsstellen angeklagt wurde.<br />
Ein Jahr nach dem Beben erklärte der Führer der CUD: „ Die Fehler und die öffentliche Intoleranz stärken nur<br />
die Kraft der unabhängigen Volksorganisationen. Politisch hat die Regierung verloren.“ 32<br />
Zócalo<br />
Alten Chroniken zufolge wurde Mexiko-Tenochtitlán am 18. Juli 1345 auf einer Insel des westlichen Texcoco-<br />
Sees gegründet. Nur einer von vielen Versionen entnommen, fanden die unerwünschten Ankömmlinge aus dem<br />
Norden (die Mexika) endlich eine den Verheißungen ihrer Götter entsprechende Stelle, um sich dauerhaft niederzulassen.<br />
Die kleine, unfruchtbare und von regelmäßigen Überschwemmungen heimgesuchte Insel war zunächst<br />
ein unwirtliches Siedlungsgebiet. Die Mexika erweiterten die Fläche somit durch schwimmende Gärten,<br />
die chinampas, errichteten Dämme zum Festland und bauten eine Wasserleitung von dem Heuschreckenhügel<br />
Chapultepec zur Stadt.<br />
Circa 200 Jahre nach ihrer Gründung wurde der Zócalo an der Stelle des ehemaligen Marktplatzes zum Mittelpunkt<br />
der Stadt. Mit jeweils 240 m Seitenlänge ist der Zócalo der zweitgrößte innerstädtische Platz der Erde<br />
und zudem der älteste Amerikas. Die ehemalige Residenz MOTECUHCOMA DES JÜNGEREN wurde in den Palast<br />
der Vizekönige umgewandelt. An dieser Stelle steht heute der Palacio Nacional, der offizielle Amtssitz des<br />
mexikanischen Präsidenten. Der ehemalige Palast des HERNÁN CORTÉS wurde nach einem Feuer 1692 teilweise<br />
neu errichtet und zieht heute die Besucher besonders wegen der Wandmalereien von DIEGO RIVERA im Treppenhaus<br />
an.<br />
30 MUSACCHIO 1985, S.8<br />
31 vgl. HENNKE/B ULTMANN/DETTMER 1993, S. 232<br />
32 Proceso, Nr. 515 vom 15.09.1986