Archäologie in Bernau bei Berlin - ABD-Dressler
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104 E<strong>in</strong>beck 2002, 152f.<br />
105 Jungklaus 2009, 44ff.<br />
würfel aus K<strong>in</strong>dergräbern, Schreibwerkzeuge, e<strong>in</strong>e Buchschließe und e<strong>in</strong> gotisches<br />
Frauenköpfchen [61-62]. Dieses ca. 1,7 cm hohe Fundobjekt ist aus fe<strong>in</strong>em weißen<br />
Pfeifenton gebrannt und stellt den Kopf e<strong>in</strong>er Heiligen bzw. der Jungfrau Maria aus<br />
der Zeit um 1500 bis 1550 dar. Identische Vergleichsstücke hierzu f<strong>in</strong>den sich u. a.<br />
<strong>in</strong> Wusterhausen/Ostprignitz-Rupp<strong>in</strong> und E<strong>in</strong>beck/Niedersachsen. Dies spricht für<br />
hohen Verbreitungsgrad und Beliebtheit unter der Bevölkerung und ist im Zusammenhang<br />
mit Wallfahrten oder häuslicher Frömmigkeit zu sehen.<br />
Während diese Stücke sicherlich durch die zahlreichen Pilgerfahrten als Reiseandenken<br />
bzw. durch umherreisende Händler nach <strong>Bernau</strong> gelangten, ist h<strong>in</strong>gegen der<br />
Produktionsort dieser religiösen Tonfiguren bislang unbekannt. Zahlreiche H<strong>in</strong>weise<br />
auf sogenannte Heiligen- oder Bilderbäcker gibt es sowohl <strong>in</strong> den Niederlanden bzw.<br />
Belgien mit Utrecht, Leiden und Lüttich, <strong>in</strong> Süddeutschland mit Augsburg und Nürnberg<br />
als auch im Rhe<strong>in</strong>land mit Köln und Worms. 104 Das Herstellungsverfahren der<br />
Figuren <strong>in</strong> zweischaligen Modeln war relativ e<strong>in</strong>fach, so dass diese Pilgerzeichen e<strong>in</strong>e<br />
preiswerte Massenware darstellten, die wohl allen Bevölkerungsschichten für sehr<br />
persönliche religiöse Bedürfnisse dienten.<br />
Nach den Ergebnissen von B. Jungklaus105 ist die Lebenssituation für die Menschen <strong>in</strong><br />
vielen Aspekten spezifisch charakterisiert. Die ersten Lebensjahre waren für die K<strong>in</strong>der<br />
voller Gefahren. Die Neugeborenen waren mit der schlechten hygienischen Situation<br />
generell stark bedroht. Die Zeit des Abstillens mit 2-3 Jahren war aufgrund der Nahrungsumstellung<br />
besonders risikoreich. Zudem führte nicht k<strong>in</strong>dgerechte Nahrung<br />
und verdrecktes Essgeschirr schnell zu gefährlichen Durchfallerkrankungen. Im<br />
Alter von 4-6 Jahren waren die K<strong>in</strong>der vermutlich stark durch Infektionserkrankungen<br />
bedroht, wo<strong>bei</strong> das beengte Leben <strong>in</strong> der Stadt die schnelle Krankheitsausbreitung<br />
begünstigte. E<strong>in</strong>e bessere Nahrungsversorgung sowie e<strong>in</strong>e gewisse Altersfürsorge<br />
durch die Zünfte und Gilden dürfte die Lebensbed<strong>in</strong>gungen und -erwartungen<br />
verbessert haben. Allerd<strong>in</strong>gs waren besonders die Frauen gefährdet. Die Mehrfachbelastung<br />
durch Ar<strong>bei</strong>t, Haushalt, Schwangerschaft und Geburt führte zu e<strong>in</strong>em<br />
erhöhten Sterberisiko. Zudem wiesen Mädchen e<strong>in</strong>e höhere Sterberate als Jungen auf.<br />
Hierfür mögen ökonomische und soziale Zwänge verantwortlich se<strong>in</strong>, die möglicherweise<br />
zu e<strong>in</strong>er Vernachlässigung der Mädchen führte. Die Belastung durch körperliche<br />
Ar<strong>bei</strong>t dürfte allgeme<strong>in</strong> sehr hoch gewesen se<strong>in</strong>. Das Heben schwerer Lasten oder<br />
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