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Schöne neue Demokratie - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Wo aber begann der Weg nach Auschwitz? Die Maxime »Du sollst nicht töten!«<br />

ist die Grundlage jeder Zivilisation. Wodurch konnte diese Grundlage so völlig<br />

zerstört werden? Spätestens seit Auschwitz wissen wir, dass dem organisierten<br />

Massenmord schon dort das Tor geöffnet wird, wo die Würde von Menschen durch<br />

staatliches Handeln oder staatlich geduldetes Handeln von wirtschaftlichen, politischen<br />

oder kulturellen Organisationen verletzt wird bzw. der Staat nicht schützend<br />

eingreift. Der erste Schritt war und ist es, rechtlich oder auf andere Weise gesellschaftlich<br />

diskriminierte Gruppen zu schaffen. Am 7. April 1933 hatte die<br />

deutsche Reichsregierung das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«<br />

erlassen, auf dessen Basis es möglich wurde, dass »Beamte nach Maßgabe<br />

der folgenden Bestimmungen aus dem Amt entlassen werden, auch wenn die nach<br />

dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen« (§ 1,<br />

Abs. 1). Im Weiteren hieß es dann: »Beamte, die nicht arischer Abstammung sind,<br />

sind in den Ruhestand (§§ 8 ff.) zu versetzen; soweit es sich um Ehrenbeamte handelt,<br />

sind sie aus dem Amtsverhältnis zu entlassen« (§ 3, Abs. 1). Der legale Weg<br />

nach Auschwitz begann mit diesem »Gesetz«.<br />

Die moderne Zivilisation richtet Frühwarnsysteme gegen Tsunami ein und bedürfte<br />

doch vor allem der Frühwarnsysteme gegen jene Barbarei, die immer wieder<br />

in ihr entsteht und sie zu überwältigen droht. Und während die Generationen<br />

jener, die die totalen Zusammenbrüche der westlichen Zivilisation in den dreißiger<br />

und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts erfahren hatten, sich dessen zumindest<br />

in ihren besten Vertretern bewusst waren, nehmen die nachfolgenden Generationen<br />

diese Erfahrung keinesfalls selbstverständlich auf ihrer Reise durch die<br />

Geschichte mit. Dadurch können sie wie schon ihre Vorfahren dem schrecklichen<br />

Missverhältnis zwischen Ursachen und Wirkungen zum Opfer fallen.<br />

»… dass Auschwitz nicht noch einmal sei« – Einblicke von Hannah Arendt,<br />

Karl Polanyi, Erich Fromm und <strong>Rosa</strong> <strong>Luxemburg</strong><br />

1966 formulierte Theodor W. Adorno in einem Radiotext: »Die Forderung, dass<br />

Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr<br />

jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu<br />

sollen. (...) Sie zu begründen hätte etwas Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen,<br />

das sich zutrug. (...) Man spricht vom drohenden Rückfall in die Barbarei.<br />

Aber er droht nicht, sondern Auschwitz war er; Barbarei besteht fort, solange<br />

die Bedingungen, die jenen Rückfall zeitigten, wesentlich fortdauern.« 18<br />

Was aber sind »die Bedingungen« von Barbarei in modernen Gesellschaften?<br />

Der Blick auf Auschwitz erhellt und verstellt den Blick auf Geschichte. Er erhellt,<br />

weil er das enthüllte Geheimnis von Prozessen ist, die den nationalsozialistischen<br />

Vernichtungskriegen und Vernichtungslagern vorausgingen. Er ist ihre<br />

18 Theodor W. Adorno: Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt 1969, S. 88.<br />

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